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Kaiser Rudolph der Zweite

Von

»Wohl gestorben ist der Kaiser; denn wie ließ er’s sonst gescheh’n,
Daß im Rathsaal Willkür sitze, führerlos die Völker geh’n,
Daß sein Auge blind geworden, taub sein Ohr für unsre Noth?
O der Kaiser ist gestorben! Warum hehlt ihr uns den Tod?«

Also vor der Burg des Herrschers rief des Volkes Schaar empor.
Sieh, da tritt ein Mann im Purpur nickend zum Balkon hervor;
Herr Rudolphus ist es selber! Schnell doch zieht er sich zurück! –
Daß der Kaiser noch am Leben, ach, bezweifeln kann’s kein Blick!

Voll Quadranten, Himmelsgloben prangt im Schloß ein Kämmerlein,
Mit dem weisen Sternendeuter schloß sich dort der Kaiser ein,
Daß der Supplikanten Menge ihre Forschung störe nicht,
Und der Kanzler nicht zur Unzeit bringe lästigen Bericht

Viel und Wicht’ges gibts zu schlichten, nach den Uhren muß er seh’n,
Horoskope muß er stellen, in den Zauberspiegel späh’n,
Güldne Kettlein muß er schmieden, – wo bleibt da fürs Volk noch Zeit? –
Und, fürwahr, in allen Künsten bracht’ es Herr Rudolphus weit!

Er entdeckt ein neues Sternbild, – jenen hellen Stern zwar nicht,
Der von Thronen über Völker segnend ausstrahlt mildes Licht! –
Nein, ein Stern am Abendhimmel war es, den sein Auge fand,
Der in seines Astrologen Himmelskarte noch nicht stand.

Er durchsann ein künstlich Uhrwerk, – zwar nicht jene Räderwelt,
Deren regelrecht Getriebe Staat und Volk im Gang erhält, –
Nein, ein seltnes Werk von Rädern, von der Kaiserhand gebaut,
Und mit süßem Glockenklange Tag’ und Stunden grüßend laut.

Er erzog sich eine Taube, – zwar die Friedenstaube nicht,
Zwischen Volk und Herrscher schwebend, mit dem Oelzweig, grün und licht, –
Nein, ein weißes Turteltäubchen, das im Lenz er sendet aus,
Daß es frische Zweig’ und Blumen bringe in sein finstres Haus.

Ja, er zähmte einen Löwen, – nicht der Völker Zwietracht Leun,
Der, die blut’ge Mähne schüttelnd, seinem Lande mochte dräun! –
Nein, den König heißer Wüste zog geschmeidig er und zahm,
Daß nur aus der Hand des Kaisers er sein täglich Futter nahm. – –

Einst des Abends, noch sein Antlitz zugekehrt dem Sternenreich,
Lag entschlummert in dem Armstuhl Herr Rudolphus, kalt und bleich,
In den Händen, an des Zepters und des goldnen Apfels Stell’,
Die kristallne Zauberkugel und ein Fernrohr blank und hell.

Den Verlust empfinden Alle, die er vatergleich gepflegt,
Sein Begängniß feiern Alle, die er liebereich gehegt:
Aus den Fenstern fliegt die Taube zu dem stillen Kirchhof hin,
Und zurück dann bringt zur Leiche sie ein Zweiglein Rosmarin.

Fremdem Blick entschwand das Sternlein, seit verlöscht des Auges Brand,
Das allein den kleinen, hellen unter Millionen fand;
Trank und Kost verschmähend streckte auf sein Todtenlager bald
Sich der Löwe, seit die Hände, die ihn nährten, starr und kalt.

Gleich dem Herzen seines Meisters will das Uhrwerk nimmer geh’n,
Und auf seiner Todesstunde blieb der goldne Zeiger steh’n.
Dieses Alles ist geschehen, als Rudolphens Geist entschwebt. – –
Nur das Volk alleinig glaubte, daß sein Kaiser fort noch lebt.

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Gedicht: Kaiser Rudolph der Zweite von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Kaiser Rudolph der Zweite“ von Anastasius Grün ist eine satirische Darstellung des gleichnamigen Kaisers und seiner vermeintlichen Weltfremdheit. Das Gedicht zeichnet das Bild eines Monarchen, der sich mehr für die Künste, die Wissenschaft und die eigene Vergnügung interessiert, als für die Belange seines Volkes. Es ist eine Kritik an der Entfremdung der Herrscher von ihren Untertanen und den dringenden Aufgaben der Staatsführung.

Das Gedicht beginnt mit dem Aufschrei des Volkes, das den Tod des Kaisers beklagt, da es von ihm vernachlässigt und im Stich gelassen wurde. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung wird durch die rhetorische Frage nach dem Grund der Geheimhaltung des Todes des Kaisers verdeutlicht. Der Kontrast zwischen dem, was das Volk wahrnimmt, und dem, was der Kaiser tatsächlich tut, wird im weiteren Verlauf des Gedichts durch die Aufzählung der Obsessionen Rudolphs verstärkt. Er verbringt seine Zeit mit Astrologie, dem Bau von Uhrwerken, der Zähmung von Tieren und anderen Künsten, während die Staatsgeschäfte vernachlässigt werden.

Grüns Sprache ist bildhaft und verwendet eine Vielzahl von Symbolen und Metaphern, um die Kritik zu unterstreichen. Die Sterne, die Uhren, die Taube und der Löwe stehen stellvertretend für die Interessen des Kaisers, die jedoch in keiner direkten Verbindung zum Wohle des Volkes stehen. Die Taube, die ein Zeichen des Friedens sein könnte, wird von Rudolph dazu benutzt, frische Blumen in sein düsteres Haus zu bringen, während der Löwe, der in der Lage wäre, die Zwietracht der Völker zu beenden, vom Kaiser gezähmt und domestiziert wird. Diese Bilder verstärken das Gefühl der Abgeschiedenheit und der Selbstbezogenheit des Kaisers.

Das Ende des Gedichts ist von großer Tragik geprägt. Rudolph stirbt, während er seinen Leidenschaften nachgeht, und das Volk scheint nicht zu bemerken, dass der Kaiser wirklich tot ist. Die Taube und der Löwe, die Symbole seiner privaten Welt, trauern um ihn, während das Uhrwerk, das er geschaffen hat, stehen bleibt. Der Kontrast zwischen der Welt des Kaisers und der des Volkes, die von ihm getrennt sind, wird in der letzten Strophe deutlich, in der nur das Volk glaubt, dass der Kaiser noch lebt. Dies unterstreicht die Entfremdung des Monarchen von seinen Untertanen und die Ironie des Gedichts.

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.