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Juni – 24. November

Von

So sei´s! Vor Gott, vor Gott will ich, ich ihn verklagen!
Weib, Törin, Muse nur – dennoch will ich es wagen!
Denn mein französisch Herz hat schaudernd sich empört;
Der Wahrheit hehrer Geist ist in mir eingekehrt;
Begeisternd Fieber fühl´ ich quälend heim mich suchen –
Ich hör´ in meinem Schlaf die Mütter ihn verfluchen,
Und was in Demut auch beschloß die Schmeichlerbrut –
Ich seh´ es: über ihn allein kommt all´ dies Blut!

Ich sag´, ich sage euch: die Nemesis ist träge!
Er, er allein goß Blut, Frankreich, auf deine Wege!
Denn Blut, französisch Blut, gilt diesem Mann nicht viel,
Was ist ihm unser Tod? Ein Stich in seinem Spiel!
Ich schrei´ aus tiefer Brust – und wahr ist, was ich dichte!
Ich hasse die Partei´n, ich hab´s mit der Geschichte!
Bewiesen hab´ ich es: nur Frankreich ist mein Stern!
Könnt´ er dem Retter sein: o ich vergäb´ ihm gern! –
Doch sag´ ich wiederum: Schuldig! ist mein Erkenntnis –
Erdrückt, verdammt ihn nicht das eigene Geständnis?
Indessen die Gefahr emporwuchs um uns her,
Indes die Freunde tot hinstürzten – was tat er?
Gerieselt kam das Blut in Strömen, in Kaskaden,
Bis zu der Häuser Stirn stiegen die Barrikaden,
Ha, wie die rote Glut im Kreis die Stadt umlief!
Der Tod hielt Wache rings! – Er aber schlief! – Er schlief!
Daß den Verteidiger des Volkes man erhebe!
Hoch der Endymion des Bürgerkriegs! Er lebe!

Ihr sagt: der Schlaf im Feld ist ja der Stolz der Helden,
Der Helden? – Sei´s! doch nie der Henker, hört´ ich melden!
Napoleon schlief sanft die Nacht vor einem Sieg –
Wohl, das war eben Mut, und Krieg ist immer Krieg!
Er hatte sich den Feind gewählt für seinen Degen –
Im Bürgerkriege nie würd´ er zur Ruh´ sich legen!
Sie schliefen, General! Ach, und wir armen Frau´n,
Wir, die das Feld nicht stählt, wir in dem blut´gen Grau´n
Der langen Kampfesnacht, drin alle Kugeln trafen –
Wir, Feldherr, beteten; wir haben nicht geschlafen!
Pfui! – Wie doch Ihrem Ruhm der Schlaf die Kron´ aufsetzt!
Mit Lächeln honigsüß, mit Worten wohlgesetzt
Empfingen Sie für ihn, hoch auf der Rostra Stufen,
Der ernsten Assemblée vereintes Bravorufen!

Ihr, die für hehren Tod ihr ihm verpflichtet seid:
Sein schönstes Opfer du, Martyr im Priesterkleid!
Du nachgebornes Kind, Bluterbe düstrer Jahre –
Zu frühe Waise du, gewiegt auf einer Bahre!
Entzweite Brüder ihr! Jungfrauen! bleich, verzagt;
Die ihr als einz´gen Schmuck blutfeuchte Palmen tragt!
Ihr alle, die ihr ihn anklagt vor Gottes Throne,
Die er für ew´ge Zeit getrennt mit kaltem Hohne:
Gattinnen, Schwestern ihr! Und du in deinem Schmerz
Gebeugtes, zuckendes, zerriss´nes Mutterherz;
Du, das jetzt keinen Sohn mehr hat, als kalte Knochen –
Hat jener Bravoruf sich Bahn zu Euch gebrochen?!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Juni – 24. November von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Juni – 24. November“ von Ferdinand Freiligrath ist eine wütende Anklage, die sich in einer pathetischen und rhetorisch aufgeladenen Sprache gegen eine namenlose, aber eindeutig identifizierbare Figur richtet, die im Kontext der Französischen Revolution und der darauf folgenden Unruhen agierte. Das Gedicht ist von tiefer Verbitterung und Enttäuschung geprägt und drückt den Schmerz über das Leid aus, das diese Person über das französische Volk gebracht hat. Der Sprecher, der sich selbst als Zeugen und Ankläger sieht, erhebt die Stimme im Namen der Opfer und prangert die Gleichgültigkeit und das egoistische Verhalten des Angeklagten an.

Die Anklage konzentriert sich auf verschiedene Aspekte des Verhaltens des Angeklagten, insbesondere auf seine angeblich gleichgültige Haltung gegenüber dem Blutvergießen und dem Leid des Volkes. Der Sprecher verurteilt ihn für seine Schlaflosigkeit inmitten der Kämpfe und kritisiert ihn für seine angeblichen Ambitionen und seinen Egoismus. Durch die Verwendung von rhetorischen Fragen, Ausrufen und dramatischen Bildern wird die Emotionalität des Gedichts gesteigert und die Leser in die Anklage mit einbezogen. Die wiederholte Betonung von „Blut“ und der blutigen Geschehnisse unterstreicht das Ausmaß des menschlichen Leids und die Grausamkeit der Ereignisse.

Das Gedicht zeigt deutlich die politische Überzeugung des Autors und seine Sympathie für das Volk. Freiligrath stellt die Figur als Gegenspieler dar, der für das Chaos, die Gewalt und das Leid verantwortlich ist. Die Verwendung von Bildern des Schlafs und der Ruhe, während um ihn herum Chaos und Tod herrschen, unterstreicht die Ungerechtigkeit und das Gefühl des Verrats. Das Gedicht richtet sich an die Opfer des Mannes, an die Witwen, die Waisen und die Mütter, die unter seinem Handeln gelitten haben. Es ist ein Aufruf zur Erinnerung, zur Anklage und zur Gerechtigkeit.

Die Sprache des Gedichts ist von einer starken politischen Rhetorik geprägt, die typisch für die Epoche ist, in der es entstanden ist. Freiligrath nutzt Pathos und rhetorische Figuren, um die Emotionen der Leser anzusprechen und sie für seine Sichtweise zu gewinnen. Das Gedicht ist ein Zeugnis der politischen und sozialen Unruhen der Zeit und reflektiert die tiefgreifenden Auswirkungen von Macht, Gewalt und Krieg auf das menschliche Leben. Der Sprecher wünscht sich Gerechtigkeit und fordert die Figur auf, sich vor Gott für seine Taten zu verantworten.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.