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An die Dichter

Von

Wo treues Wollen, redlich Streben
Und rechten Sinn der Rechte spürt,
Das muß die Seele ihm erheben,
Das hat mich jedesmal gerührt.

Das Reich des Glaubens ist geendet,
Zerstört die alte Herrlichkeit,
Die Schönheit weinend abgewendet,
So gnadenlos ist unsre Zeit.

O Einfalt, gut in frommen Herzen,
Du züchtig schöne Gottesbraut!
Dich schlugen sie mit frechen Scherzen,
Weil dir vor ihrer Klugheit graut.

Wo findst du nun ein Haus, vertrieben,
Wo man dir deine Wunder läßt,
Das treue Tun, das schöne Lieben,
Des Lebens fromm vergnüglich Fest?

Wo findest du den alten Garten
Dein Spielzeug, wunderbares Kind,
Der Sterne heil’ge Redensarten,
Das Morgenrot, den frischen Wind?

Wie hat die Sonne schön geschienen!
Nun ist so alt und schwach die Zeit;
Wie stehst so jung du unter ihnen,
Wie wird mein Herz mir stark und weit!

Der Dichter kann nicht mit verarmen;
Wenn alles um ihn her zerfällt,
Hebt ihn ein göttliches Erbarmen –
Der Dichter ist das Herz der Welt.

Den blöden Willen aller Wesen,
Im Irdischen des Herren Spur,
Soll er durch Liebeskraft erlösen
Der schöne Liebling der Natur.

Drum hat ihm Gott das Wort gegeben,
Das kühn das Dunkelste benennt,
Den frommen Ernst im reichen Leben,
Die Freudigkeit, die keiner kennt.

Da soll er singen frei auf Erden,
In Lust und Not auf Gott vertraun,
Daß aller Herzen freier werden,
Eratmend in die Klänge schaun.

Der Ehre sei er recht zum Horte,
Der Schande leucht er ins Gesicht!
Viel Wunderkraft ist in dem Worte,
Das hell aus reinem Herzen bricht.

Vor Eitelkeit soll er vor allen
Streng hüten sein unschuld’ges Herz,
Im Falschen nimmer sich gefallen,
Um eitel Witz und blanken Scherz.

Oh, laßt unedle Mühe fahren,
O klingelt, gleißt und spielet nicht
Mit Licht und Gnad, so ihr erfahren,
Zur Sünde macht ihr das Gedicht!

Den lieben Gott laß in dir walten,
Aus frischer Brust nur treulich sing!
Was wahr in dir wird sich gestalten,
Das andre ist erbärmlich Ding.-

Den Morgen seh ich ferne scheinen,
Die Ströme ziehn im grünen Grund,
Mir ist so wohl! – die’s ehrlich meinen,
Die grüß ich all aus Herzensgrund!

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Gedicht: An die Dichter von Joseph von Eichendorff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht An die Dichter von Joseph von Eichendorff ist ein poetisches Bekenntnis zum wahren, sittlich fundierten Dichtertum. In klassisch-romantischem Ton wendet sich Eichendorff an seine dichterischen Zeitgenossen und formuliert eine klare Absage an Künstlichkeit, Eitelkeit und geistige Entfremdung. Zugleich beschwört er eine Idealvorstellung des Dichters als von Gott begnadeten Mittler zwischen Mensch und Schöpfung.

In den ersten Strophen beklagt das lyrische Ich den moralischen und geistigen Verfall seiner Zeit. Der „rechte Sinn“ und das „redliche Streben“ werden nur noch selten erkannt, die Einfalt – hier als innige, gläubige Reinheit verstanden – ist aus der Welt verstoßen. Die „alte Herrlichkeit“ des Glaubens ist zerstört, die Schönheit hat sich abgewendet. Das Gedicht nimmt damit eine kulturpessimistische Haltung ein, wie sie für Eichendorffs Spätwerk typisch ist: Er erlebt die moderne Welt als gottfern, spöttisch und leer.

Doch der Dichter soll diesem Verfall nicht erliegen. Eichendorff ruft zu einer höheren Berufung auf: Der wahre Dichter verarmt nicht, weil ihn „ein göttliches Erbarmen“ trägt. In dieser Vorstellung ist der Dichter das „Herz der Welt“, das inmitten von Not und Verwirrung eine heilsame, ordnende Kraft entfaltet. Er soll durch „Liebeskraft“ die Spur Gottes im Irdischen sichtbar machen und mit seinem Wort das Dunkel benennen.

Zugleich warnt das Gedicht eindringlich vor den Gefahren eitler Dichtung: Der Dichter soll nicht mit „Licht und Gnad“ spielen, nicht aus bloßem Witz oder zur Selbstdarstellung schreiben. Ein reines, unschuldiges Herz ist die Voraussetzung dafür, dass das Wort Wunderkraft entfalten kann. Der Dichter wird nicht als Künstler im modernen Sinn verstanden, sondern als moralische und geistige Instanz.

Im Schluss bringt das lyrische Ich seine Hoffnung und Dankbarkeit zum Ausdruck: Der „Morgen“ scheint wieder, und in der Natur, in der Bewegung der Ströme, wird eine neue, reine Lebensfreude spürbar. Die letzten Zeilen wirken wie ein Segen: Wer es „ehrlich meint“, wird vom Sprecher aus „Herzensgrund“ gegrüßt. An die Dichter ist so nicht nur ein poetisches Programm, sondern auch ein Appell zur inneren Wahrheit – eine ethische und spirituelle Vision von Dichtung als Dienst an der Welt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.