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Der Entfernten

Von

Wohl denk‘ ich allenthalben,
O du Entfernte, dein!
Früh, wenn die Wolken falben,
Und spät im Sternenschein.
Im Grund des Morgengoldes,
Im roten Abendlicht,
Umschwebst du mich, o holdes,
Geliebtes Traumgesicht!

Es folgt in alle Weite
Dein trautes Bild mir nach,
Es wallt mir stets zur Seite,
In Träumen oder wach;
Wenn Lüfte sanft bestreifen
Der See beschilften Strand,
Umflüstern mich die Schleifen
Von seinem Busenband.

Ein Abglanz seines Schleiers
Scheint auf die Saat gewebt;
Sein Hauch, was des Gemäuers
Bewegten Eppich hebt;
Der Kleidung weiche Falten,
Geformt aus Glanz und Duft,
Entschwinden in den Spalten
Der öden Felsenkluft.

Wo rauschender und trüber
Der Strom Gebirge trennt,
Weht oft sein Laut herüber,
Den meine Seele kennt;
Wenn ich den Fels erklimme,
Den noch kein Fuß erreicht,
Lausch‘ ich nach jener Stimme;
Doch Kluft und Echo schweigt.

Wo durch die Nacht der Fichten
Ein Dämm’rungsflimmer wallt,
Seh‘ ich dich zögernd flüchten,
Geliebte Luftgestalt!
Wenn, sanft dir nachzulangen,
Der Sehnsucht Arm sich hebt,
Ist dein Phantom zergangen,
Wie Taugedüft verschwebt.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Entfernten von Johann Gaudenz von Salis-Seewis

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Entfernten“ von Johann Gaudenz von Salis-Seewis thematisiert die tiefe Sehnsucht nach einer abwesenden Geliebten und schildert eindrücklich, wie die Erinnerung an sie alle Sinne und Wahrnehmungen des lyrischen Ichs durchdringt. In einer Mischung aus zarter Naturbeschreibung und innerer Bewegung wird die Ferne der Geliebten als schmerzlich und zugleich schön empfunden.

Von der ersten Strophe an wird deutlich, dass die Gedanken an die Entfernte das lyrische Ich beständig begleiten – morgens im ersten Licht ebenso wie abends unter den Sternen. Naturphänomene wie Morgengold, Abendröte und sanfte Lüfte werden zum Spiegel der inneren Sehnsucht. Die Geliebte erscheint nicht als greifbare Person, sondern als traumhafte Vision, als „geliebtes Traumgesicht“, das die Welt in ein Bild der Erinnerung taucht.

Im weiteren Verlauf verschmelzen Natur und Gefühl immer mehr. Die Bewegung der Lüfte, der Klang des Wassers und sogar das Spiel von Licht und Schatten erscheinen als Äußerungen der Gegenwart der Geliebten. Selbst in den einsamsten Höhen, wo das lyrische Ich vergeblich auf ein Zeichen hofft, bleibt nur das Schweigen als Antwort – ein kraftvolles Bild für die Unerreichbarkeit der Geliebten.

Die letzte Strophe verstärkt die Melancholie: Die Geliebte wird als flüchtige, kaum fassbare Gestalt beschrieben, die im Dämmerlicht erscheint und wieder vergeht, sobald sich das sehnsuchtsvolle Ich ihr nähern will. Das Bild vom Entschwinden „wie Taugedüft“ unterstreicht die Vergänglichkeit der Illusion und die Ohnmacht des Verlangens. Das Gedicht zeichnet damit ein empfindsames, von Naturstimmungen durchdrungenes Porträt unerfüllter Liebe und ewiger Sehnsucht.

Möchtest du, dass ich noch auf die sprachlichen Bilder und die romantische Prägung des Gedichts eingehe?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.