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Studentenlied

Von

Brüder, last uns lustig seyn,
Weil der Frühling währet
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret.
Grab und Baare warthen nicht;
Wer die Rosen jezo bricht,
Dem ist der Kranz bescheeret.

Unsers Lebens schnelle Flucht
Leidet keinen Zügel,
Und des Schicksals Eifersucht
Macht ihr stetig Flügel.
Zeit und Jahre fliehn davon,
Und vielleichte schnizt man schon
An unsers Grabes Riegel.

Wo sind diese, sagt es mir,
Die vor wenig Jahren
Eben also, gleich wie wir,
Jung und fröhlich waren?
Ihre Leiber deckt der Sand,
Sie sind in ein ander Land
Aus dieser Welt gefahren.

Wer nach unsern Vätern forscht,
Mag den Kirchhof fragen;
Ihr Gebein, so längst vermorscht,
Wird ihm Antwort sagen.
Kan uns doch der Himmel bald,
Eh die Morgenglocke schallt,
In unsre Gräber tragen.

Unterdeßen seyd vergnügt,
Last den Himmel walten,
Trinckt, bis euch das Bier besiegt,
Nach Manier der Alten!
Fort! Mir wäßert schon das Maul,
Und, ihr andern, seyd nicht faul,
Die Mode zu erhalten.

Dieses Gläschen bring ich dir,
Daß die Liebste lebe
Und der Nachwelt bald von dir
Einen Abriß gebe.
Sezt ihr andern gleichfalls an,
Und wenn dieses ist gethan,
So lebt der edle Rebe.

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Gedicht: Studentenlied von Johann Christian Günther

Kurze Interpretation des Gedichts

Das „Studentenlied“ von Johann Christian Günther verbindet auf typische Weise für die Barockzeit die Themen Carpe diem und Memento mori. Es mahnt zur Lebensfreude und Ausgelassenheit, da das Leben kurz und der Tod gewiss ist. Im Stil eines Trinkliedes richtet sich das Gedicht an eine Gemeinschaft von Studenten, die im Bewusstsein der Vergänglichkeit den Moment genießen sollen.

Die ersten Strophen betonen die Schönheit der Jugend und des Frühlings, die jedoch nicht von Dauer ist. Das Bild der „Rosen“ als Symbol für das flüchtige Glück und den Lebensgenuss verweist darauf, dass der „Kranz“ nur dem zusteht, der die Gunst der Stunde nutzt. Gleichzeitig wird die Schnelligkeit der Zeit und die Unvermeidbarkeit des Todes betont – der „Grabesriegel“ wird bereits geschnitzt, während das Leben noch in vollen Zügen genossen wird.

In den mittleren Strophen weitet sich der Blick auf frühere Generationen: Die Erinnerung an „die vor wenig Jahren“ ebenso jung und fröhlich Lebenden wird zur Mahnung. Die Frage nach deren Verbleib wird mit der Antwort der Vergänglichkeit beantwortet – ihre Leiber ruhen „im Sand“ und sind dem Vergessen überlassen. Der Verweis auf die „Väter“ und den „Kirchhof“ unterstreicht die Gewissheit, dass auch die jetzige Generation bald folgen wird.

Trotz dieser ernsten Gedanken bleibt der Ton des Gedichts heiter und fordernd: Die letzte Strophe ruft ausdrücklich zum gemeinsamen Trinken und Feiern auf. Die Gemeinschaft wird durch das Teilen des „Gläschens“ gestärkt, und es entsteht ein Bild des unbeschwerten Beisammenseins, das dennoch stets die Endlichkeit im Hintergrund mitschwingen lässt. Günther vereint so Lebensfreude mit Nachdenklichkeit und vermittelt den klassischen Gedanken, im Angesicht des Todes das Leben nicht zu vergeuden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.