Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , ,

In Glorie

Von

Er kleidete in weiche Seide sich
und trank von Weinen, davon jeder Tropfen
so teuer kam wie eine edle Perle.
Sein Haus, mit Werken hoher Kunst geschmückt,
umgab ein Park, in dem die schönsten Vögel,
die Nord und Süd gebiert, ihr Preislied sangen.

Wo Park und Wald zusammenstießen, lag
ein silberklar Gewässer. Sommernachts,
wenn Mondlicht auf den weichen Fluten spielte
und aus dem Thale sanfte Flöten tönten,
gab er des Leibes heiliges Geheimnis
den Wassern preis, und küßte junge Schwäne,
die, ihre Flügel öffnend, zu ihm schwammen.

Ein zärtlich Lächeln lag um seinen Mund,
in seinen scheuen märchentiefen Augen,
den weichen Kinderaugen; und doch war
ein Tiger dieser Mensch .. der Purpurtrank,
den seine Lippen schlürften: rauchend Blut,
das Haus des Friedens, drin er wie ein Priester
im weißen Kleide hinschritt, aufgebaut
aus Raub und Diebstahl.
Mit der Priestermiene
ging er am Sonntag Morgen auf die Flur
und zwang mit seines Willens wilder Kraft
die stillen thaubenetzten Sommerblumen,
daß sie ihr innerstes Geheimnis ihm
ins lauschbegierige Ohr bekannten, zwang
das leichtbehufte Roß auf weiter Pußta,
den singenden Delphin in blauer Meerflut,
den lavaroten Krater, weiße Gletscher,
den goldnen Mittag, die Johannisnacht,
die Sphinx: das Weib, daß alle alle sie,
von seinem wilden Wissensdurst bedräut,
ihr letztes heiliges Mysterium
ihm offenbarten.
Und er?
Schreiend vor Lust,
dem Adler gleich, der die gewonnene Beute
zur Sonne trägt, entfloh in dieses Thal,
und baute aus dem Golde der Erfahrung
sich hier sein Königshaus.
Er war ein Dichter.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: In Glorie von Maria Janitschek

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „In Glorie“ von Maria Janitschek zeichnet das Portrait eines Mannes, der in äußerem Glanz lebt, doch im Inneren von Widersprüchen und einem unstillbaren Wissensdurst getrieben wird. Die ersten Strophen beschreiben eine Welt des Luxus und der Ästhetik: Seide, edle Weine, Kunstwerke, ein prachtvoller Park mit exotischen Vögeln und ein See, in dem der Mann mit Schwänen interagiert. Diese Beschreibung erzeugt zunächst den Eindruck eines schönen, fast idyllischen Lebens, das von Genuss und Schönheit geprägt ist.

Die folgenden Verse enthüllen jedoch eine tiefere Komplexität. Die Beschreibung des Mannes als „Tiger“ und des Purpurtranks als „rauchend Blut“ deutet auf eine dunkle, zerstörerische Seite hin, die unter der Oberfläche der Verfeinerung lauert. Sein Haus, das „aus Raub und Diebstahl“ aufgebaut ist, unterstreicht die moralische Verdorbenheit, die sein scheinbar vollkommenes Leben nährt. Der Kontrast zwischen der äußeren Erscheinung und der inneren Realität des Mannes wird durch die Gegenüberstellung von „Priestermiene“ und der Ausbeutung der Natur verdeutlicht.

Das Gedicht entwickelt sich zu einer Metapher für den unersättlichen Drang nach Wissen und Erfahrung, der den Mann antreibt. Er zwingt die Natur, ihm ihre Geheimnisse zu offenbaren, von den Blumen über das Pferd bis hin zum Delphin und den Naturgewalten wie dem Krater und den Gletschern. Die Erwähnung der Sphinx symbolisiert das Streben nach Weisheit, nach dem Verständnis der tiefsten Geheimnisse des Seins. Seine „Lust“ nach all dieser Erkenntnis ist so groß, dass er sie ausbeuten kann.

Der letzte Teil des Gedichts enthüllt die wahre Identität des Mannes: Er ist ein Dichter. Er baut „aus dem Golde der Erfahrung“ sein „Königshaus“. Dies deutet darauf hin, dass er seine Erfahrungen, sein Wissen, seine Beobachtungen und seine Obsessionen in die Kunst umwandelt. Die „Glorie“, die im Titel angedeutet wird, ist also nicht nur die äußere Pracht, sondern auch die innere Erhabenheit, die aus der Schaffenskraft des Dichters erwächst, der die Welt in all ihren Facetten erfasst und in Worte fasst. Das Gedicht hinterfragt die Natur der Schönheit und des Ruhms und deutet an, dass wahre Größe sowohl das Gute als auch das Böse umfasst.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.