Ich schlage schamlos in die Tasten…
Ich schlage schamlos in die Tasten.
Die Ampel tönt. Es zwitschert das Bordell.
Die schlanken Knaben bleich vom langen Fasten
Erheben kühl sich vom kastalschen Quell.
Sie werfen ab die wolligen Gewänder,
Die Hemden kurz, die Mütter einst genäht.
Sie schweben engverschlungne Negerländer,
In denen palmengleich die Liebe steht.
Es neigen sich mit ihren schmalen Mündern
Die Huren in den unerfahrenen Schoß,
Und sie empfangen von den blassen Kindern
Lächelnd ihr gutes oder schlimmes Los.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ich schlage schamlos in die Tasten…“ von Klabund zeichnet ein Bild der Dekadenz und des gesellschaftlichen Verfalls, welches durch eine Kombination aus freizügiger Sprache und surrealen Bildern erzeugt wird. Die „schamlose“ Geste des Tastenspielens fungiert als Metapher für eine enthemmte Lebenshaltung, in der Konventionen keine Rolle mehr spielen. Die Szenerie spielt in einer Welt, in der Gegensätze aufeinanderprallen: Helligkeit und Finsternis, Reinheit und Verderbtheit.
Die erste Strophe etabliert diese Atmosphäre der Sinnlichkeit und des Unbehagens. Das „Zwitschern des Bordells“ und die Erwähnung der „schlanken Knaben“, die dem „kastalschen Quell“ entstammen – ein Hinweis auf die Musen und die Kunst – deutet auf eine Welt hin, in der die Grenzen zwischen Kunst, Vergnügen und Verdorbenheit verschwimmen. Die „blassen Kinder“ suggerieren eine Welt der Entfremdung und der körperlichen Schwäche, die durch das lange Fasten noch verstärkt wird. Diese Kinder, die gleichzeitig Künstler sind, scheinen ihren Ursprung in der Kunst selbst zu haben und stehen symbolisch für die Dekadenz der Zeit.
Die zweite Strophe vertieft das Bild der Auflösung moralischer Grenzen. Das Ablegen der „wolligen Gewänder“ und die Beschreibung des „engverschlungnen Negerländer“ schaffen eine erotische und exotische Atmosphäre. Die Metapher des „Negerlands“, in dem die Liebe „palmengleich“ steht, deutet auf eine Welt der Begierde und der Sinnlichkeit, die von kolonialen Bildern und sexuellen Fantasien geprägt ist. Die „palmengleiche“ Liebe suggeriert eine paradiesische, aber auch leicht verderbliche Natur dieser Emotionen, die in einer Welt der Dekadenz ihren Ursprung findet.
Die letzte Strophe führt das Thema der Unschuld und Verdorbenheit zusammen. Die „Huren“ neigen sich „mit ihren schmalen Mündern“ in den „unerfahrenen Schoß“. Diese Begegnung mit den blassen Kindern ist ein zentraler Moment, in dem die Gegensätze verschmelzen. Die Huren empfangen von den Kindern „lächelnd ihr gutes oder schlimmes Los“. Dies deutet auf eine Akzeptanz des Schicksals hin, sei es gut oder schlecht, und unterstreicht die Resignation und das Gefühl des Endes, das dem Gedicht innewohnt. Die Interpretation schließt somit einen düsteren Kreislauf der Verderbnis, der die Unschuld in Verzweiflung versinkt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.