Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, ,

Die Beiden

Von

Sie trug den Becher in der Hand –
Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.

So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.

Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Beiden von Hugo von Hofmannsthal

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Beiden“ von Hugo von Hofmannsthal beschreibt in kunstvoller Kürze und Eleganz eine zarte, fast schmerzlich schöne Momentaufnahme der Liebe – oder vielmehr des Scheiterns an der Nähe, die sie verlangt. In sechs Strophen wird ein Bild voller Spannung zwischen äußerer Beherrschung und innerer Bewegung gezeichnet, zwischen Anmut und Unsicherheit, zwischen Kontrolle und Überforderung durch das Gefühl.

Zunächst schildert Hofmannsthal zwei Personen in ihrer je eigenen Perfektion: Die Frau trägt einen Becher, anmutig und sicher, mit einer so leichten wie stabilen Haltung – ein Bild voll weiblicher Eleganz und Selbstkontrolle. Ihr Mund gleicht dem Becherrand – eine subtile Verbindung von Sinnlichkeit und Symbolik. Der Mann wiederum wird beim Reiten dargestellt, mit einer ebenso „leichten und festen“ Hand: Er beherrscht sein Pferd mit scheinbar beiläufiger Geste, Ausdruck von männlicher Kraft und Kontrolle.

Diese parallelen Bilder betonen, wie souverän beide für sich in ihrem Tun sind. Doch genau diese Souveränität bricht in dem Moment zusammen, in dem es zur gegenseitigen Berührung kommen soll. Als der Mann den Becher aus der Hand der Frau nehmen will – eine symbolische Geste der Verbindung, der Annäherung –, versagt ihre beiderseitige Beherrschung. „Denn beide bebten sie so sehr“: Das Gefühl übermannt die Körper, ihre Kontrolle zerfällt, die geplante Geste misslingt.

Das Bild des verschütteten Weines, der „am Boden rollt“, ist viel mehr als nur das Ende einer kleinen Szene. Es steht sinnbildlich für das Scheitern an der Liebe – nicht aus Mangel an Gefühl, sondern gerade aus dessen Übermaß. Das Begehren, die gegenseitige Ergriffenheit macht die Geste der Annäherung unmöglich. Die Hände „finden“ einander nicht – obwohl beide es wollen.

Hofmannsthal gelingt es, in wenigen Versen die Spannung zwischen äußerer Formvollendung und innerem Aufruhr meisterhaft zu verdichten. „Die Beiden“ ist ein stilles, melancholisches Gedicht über die Zerbrechlichkeit der Liebe, die manchmal nicht an Gefühllosigkeit, sondern an ihrer eigenen Intensität zerbricht. Es lebt von seiner feinen Symbolik, seinem leisen Ton und der tiefen Menschlichkeit, die hinter der schlichten Szene aufscheint.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.