Herbstseele
Jägerruf und Blutgebell;
Hinter Kreuz und braunem Hügel
Blendet sacht der Weiherspiegel,
Schreit der Habicht hart und hell.
Über Stoppelfeld und Pfad
Banget schon ein schwarzes Schweigen;
Reiner Himmel in den Zweigen;
Nur der Bach rinnt still und stad.
Bald entgleitet Fisch und Wild.
Blaue Seele′ dunkles Wandern
Schied uns bald von Lieben, Andern.
Abend wechselt Sinn und Bild.
Rechten Lebens Brot und Wein,
Gott in deine milden Hande
Legt der Mensch das dunkle Ende,
Alle Schuld und rote Pein.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Herbstseele“ von Georg Trakl entwirft ein melancholisches Bild des Herbstes und der damit einhergehenden Vergänglichkeit und des Todes. Der Titel selbst deutet auf eine Innenschau hin, auf die Empfindung, die die Jahreszeit im Inneren des lyrischen Ichs auslöst: eine tiefe Traurigkeit und ein Gefühl der Leere. Die Natur wird als Spiegel dieser Seelenlandschaft dargestellt, wobei die herbstlichen Elemente wie Jagd, Schweigen und Abenddämmerung die Stimmung des Gedichts prägen.
In den ersten beiden Strophen dominieren äußere Eindrücke: Jagdgeräusche wie „Jägerruf und Blutgebell“ vermitteln eine Atmosphäre der Unruhe und des Leids, während das „braune Hügel“ und der „Weiherspiegel“ eine malerische Landschaft beschreiben. Der Habicht, der „hart und hell“ schreit, fügt eine Note der Unbarmherzigkeit hinzu. Das Schweigen, das über das „Stoppelfeld und Pfad“ hereinbricht, deutet auf das Ende der Erntezeit und den Übergang zur Stille und Dunkelheit des Winters hin. Die Reinheit des Himmels in den Zweigen und der ruhige Bach sind kontrapunktische Elemente, die die Melancholie noch verstärken, indem sie die Vergänglichkeit des Lebens widerspiegeln.
Die dritte Strophe leitet den Übergang von der äußeren zur inneren Erfahrung ein. Das „dunkle Wandern“ der „blauen Seele“ suggeriert eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben und dem Abschied von den „Lieben, Andern“. Die Vorstellung des „Entgleitens“ von Fisch und Wild verstärkt das Gefühl der Entfremdung und des Verlusts. Der „Abend“ als Metapher für das Ende des Lebens „wechselt Sinn und Bild“, was die Unbeständigkeit und das Vergängliche des irdischen Daseins unterstreicht.
Die abschließende Strophe ist von einer religiösen Note geprägt. Das „Brot und Wein“ des „rechten Lebens“ symbolisieren die Grundbedürfnisse und die Hoffnung auf Erlösung. Der Mensch legt „Gott in deine milden Hände“ sein „dunkles Ende“, seine „Schuld und rote Pein“. Damit wird die Akzeptanz des Todes und die Suche nach Trost und Vergebung durch eine höhere Macht ausgedrückt. Das Gedicht endet mit der stillen Hoffnung auf eine Transzendenz, die der Dunkelheit des Abschieds entgegenwirkt. Trakl nutzt die Herbstatmosphäre, um die existentielle Erfahrung von Vergänglichkeit, Verlust und der Suche nach Sinn im Angesicht des Todes zu thematisieren.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.