Guter Rath
Still mußt du werden, pochend Herz,
Still wie der Stern am Himmelszelt,
Wie er, mußt unberührt du steh′n
Vom nicht′gen Treiben dieser Welt.
Still mußt du werden wie der Fels,
An dem sich wild die Brandung bricht;
Ob auch ein Schifflein jach zerschellt
An seinem Fuß, er fühlt es nicht.
Still mußt du werden wie der Schwan,
Der lautlos schwimmt den See dahin,
Wie einsam er die Fluth zertheilt,
Mußt du des Lebens Kreise zieh′n.
So stolz mußt steh′n du, so allein,
Dann wirst du froh und glücklich sein./
Doch ach! du seufzest leise: nein,
Nicht froh, nicht glücklich werd′ ich sein!
O, ich versteh′ dich, glühend Herz,
Zu heiß liebst du das Leben noch,
Trotz seinen Schmerzen, seiner Qual,
Trotz seiner Noth liebst du es doch.
So schlag′ in Menschenleid und Lust,
So dulde denn und klage nicht,
Sei einsam eher nicht und kalt,
Nicht still, als bis der Tod dich bricht!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Guter Rath“ von Luise Büchner ist eine bewegende Auseinandersetzung mit dem Wunsch nach innerer Ruhe und der gleichzeitigen Unmöglichkeit, diese zu erreichen. Es beginnt mit der Aufforderung an das „pochende Herz“, still zu werden, um sich von den Turbulenzen der Welt unberührt zu machen – eine Analogie zum Stern am Himmel, zum Felsen, der den Stürmen trotzt, und zum Schwan, der unberührt durch das Wasser gleitet. Diese Bilder vermitteln eine Vorstellung von Distanz, Unberührbarkeit und Einsamkeit als Weg zum Glück.
Die zweite Hälfte des Gedichts offenbart jedoch die menschliche Sehnsucht, die diesen Ratschlägen widersteht. Das Herz seufzt, dass es nicht froh und glücklich sein wird durch diese Entsagung. Die Autorin versteht dieses innere Aufbegehren, die glühende Liebe zum Leben, die trotz Schmerzen und Qualen bestehen bleibt. Hier wird die tiefe emotionale Verbundenheit mit der Welt, die Akzeptanz von Leid und Lust, als höhere Tugend herausgestellt.
Das Gedicht plädiert für ein Leben in all seinen Facetten, für das Annehmen der emotionalen Achterbahn, die das Menschsein ausmacht. Es ermutigt dazu, im Leid zu schlagen, zu dulden und nicht zu klagen – statt sich zu verschließen und emotional zu erkalten. Die Autorin scheint zu erkennen, dass wahres Glück nicht in der völligen Distanzierung, sondern in der intensiven Auseinandersetzung mit dem Leben und seinen Erfahrungen liegt. Der Tod wird als einzige Möglichkeit gesehen, das „pochende Herz“ endgültig zur Ruhe zu bringen.
Somit stellt das Gedicht einen Gegensatz zwischen der Sehnsucht nach innerer Ruhe und der gleichzeitigen Unfähigkeit, diese zu erreichen, dar. Es ist eine Hommage an die menschliche Verletzlichkeit, die Fähigkeit zu lieben und zu leiden. Die Autorin erfasst das Dilemma der menschlichen Existenz, das pulsierende Leben, das sich nicht in eine sterile Stille zwingen lassen kann, und feiert die lebendige, leidenschaftliche Natur des menschlichen Herzens.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.