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Groß-Stadt-Weihnachten

Von

Nun senkt sich wieder auf die heim′schen Fluren
die Weihenacht! die Weihenacht!
Was die Mamas bepackt nach Hause fuhren,
wir kriegens jetzo freundlich dargebracht.

Der Asphalt glitscht. Kann Emil das gebrauchen?
Die Braut kramt schämig in dem Portemonnaie.
Sie schenkt ihm, teils zum Schmuck und teils zum Rauchen,
den Aschenbecher aus Emalch glase.

Das Christkind kommt! Wir jungen Leute lauschen
auf einen stillen heiligen Grammophon.
Das Christkind kommt und ist bereit zu tauschen
den Schlips, die Puppe und das Lexikohn.

Und sitzt der wackre Bürger bei den Seinen,
voll Karpfen, still im Stuhl, um halber zehn,
dann ist er mit sich selbst zufrieden und im reinen:
„Ach ja, son Christfest is doch ooch janz scheen!“

Und frohgelaunt spricht er vom ′Weihnachtswetter′,
mag es nun regnen oder mag es schnein.
Jovial und schmauchend liest er seine Morgenblätter,
die trächtig sind von süßen Plauderein.

So trifft denn nur auf eitel Gück hienieden
in dieser Residenz Christkindleins Flug?
Mein Gott, sie mimen eben Weihnachtsfrieden …
„Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.“

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Groß-Stadt-Weihnachten von Kurt Tucholsky

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Groß-Stadt-Weihnachten“ von Kurt Tucholsky ist eine satirische Betrachtung des Weihnachtsfestes in der Großstadt, die durch Ironie und eine nüchterne Beobachtung der Konsumgesellschaft geprägt ist. Der Autor entlarvt die künstliche Fröhlichkeit und den oberflächlichen Konsum, die das Fest prägen, und kontrastiert sie mit der vermeintlichen Besinnlichkeit, die erwartet wird.

Die ersten Strophen beschreiben die alltägliche Geschäftigkeit und den Konsumrausch. Die Geschenke, wie der Aschenbecher aus Emaille, scheinen ohne große Bedeutung zu sein, und das Christkind, das hier im Kontext des Konsums steht, bietet Tauschgeschäfte an: „den Schlips, die Puppe und das Lexikohn“. Die ursprüngliche Bedeutung des Festes, der stille Glanz, der Glaube, der Frieden, tritt hinter dem materiellen Wert zurück. Dies wird durch die kühle, distanzierte Beschreibung der Szenerie und der Figuren deutlich, die sich in einer scheinbaren Festtagsstimmung befinden.

In der zweiten Hälfte des Gedichts wird die Scheinheiligkeit der Bürger thematisiert. Sie sitzen beim Karpfen, sind scheinbar zufrieden, und „frohgelaunt“ wird das Weihnachtswetter kommentiert. Die Ironie wird durch die Gegenüberstellung von oberflächlicher Freude und tieferer Leere verstärkt. Die „Morgenblätter“, die „trächtig sind von süßen Plauderein“, sind ein Hinweis auf die Medien, die die vorgegaukelte Idylle des Festes verstärken.

Die letzte Strophe offenbart schließlich die eigentliche Botschaft des Gedichts. Tucholsky stellt die Frage, ob es wirklich nur „eitel Gück hienieden“ gibt und endet mit dem resignierten Satz: „Wir spielen alle. Wer es weiß, ist klug.“ Dies deutet darauf hin, dass die wahre Erkenntnis darin besteht, die Fassade des Festes zu durchschauen und die Illusion von Frieden und Glück zu erkennen, die im Wesentlichen ein Gesellschaftsspiel ist. Das Gedicht ist somit eine kluge und bissige Kritik an der Verflachung und Kommerzialisierung des Weihnachtsfestes in der modernen Gesellschaft.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.