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Gottes ewiger Ratschluss

Von

Wir fielen tief, wir fielen tief;
Du hast den Fall gesehen:
Eh′ noch dein Wort der Erde rief,
Und Sonnen hieß entstehen,
Da sahst du schon der jungen Welt
Die Einfalt, das Vergnügen,
Stumm entfliegen;
Sahst Adam auf dem Distelfeld,
Und Abel blutig liegen.

Da sahst du schon dein Ebenbild
Im Menschen fast verblichen;
Sahst uns von Wahn und Laster wild,
Und weit von dir entwichen.
Sahst schon die allgemeine Fluth,
Hört′st das Geächz der Seuchen,
Und bei Leichen,
Gemordet von der Krieger Wuth,
Die Todtengräber keuchen.

Sahst schon Tyrannen in dem Sand
Die heissen Wunden schlitzen,
Und fluchend mit der bleichen Hand
Ihr Blut gen Himmel sprützen;
Sahst auf der Erde weitem Schooß
Der Höllengötzen Larven:
Dich verwarfen
Die Deinen, Blut des Säuglings floß
Beim Schall entweihter Harfen.

Sahst unter wilder Lüste Schwarm
Erstickte Menschenseelen,
Und, ach! verscheuchter Frommen Harm
In dumpfen Felsenhöhlen:
Hört′st Wuthgebrüll und Angstgeschrey,
Und aus verruchten Rachen
Spötter lachen;

Sahst Ehrsucht, Golddurst, Heuchelei,
Die Welt zur Hölle machen.

Auch sahst du, Gott! den vollen Strom
Des Bluts der Zeugen fliessen;
Sahst schon Jerusalem und Rom
Den Mord der Frommen büßen.
Doch, ach! wer deckt den Jammer auf,
Den du von deinen Höhen,
Gott! gesehen?

Wer kennt des Wahns und Lasters Lauf,
Und zählt der Erden Wehen?

Was solltest du, Weltrichter, thun?
Die Sünderwelt zerstäuben?
Die Frevler all′ mit ihrem Thun
In Höllennächte treiben?
Du nahmst die Wag′; es blitzten schon
Von fürchterlichen Strahlen
Ihre Schalen:

Schon wägst du der Empörer Lohn,
Vernichtung oder Qualen.

Doch, eh′ die Schal′ Entscheidung zückt,
So stand der Sohn am Throne,
Mit Blicken, wie die Liebe blickt,
Und sprach: O Vater! schone.
Ich will das Lamm zum Opfer seyn,
Will bluten für Verbrecher.
Schone, Rächer!
Und schenke mir, dem Bürgen, ein,
Den zorngefüllten Becher.

Da nahmst du, Gott! den Bürgen an.
Mit Mienen, hell von Gnade,
Sahst du von ferne Kanaan
Und deines Sohnes Pfade,
Gethsemane und Golgatha,
Mit Opferblut beflossen.
Ausgegossen

Wie Wasser, hing der Mittler da,
In Dunkel eingeschlossen.

Da hörtest du: »Es ist vollbracht!«
Herauf vom Hügel tönen;
Nun fühltest du der Liebe Macht,
Und liessest dich versöhnen.
Gott ist die Liebe! jauchzt die Schaar
Der Geister, stark im Meere;
Ihre Heere,

Sie sangen dir, der ist und war,
Und dem Erwürgten Ehre.

Gott ist die Liebe, Jesus ist
Die Liebe; sing′s, o Sünder!
Der du so hoch begnadigt bist,
Und lehr′ es deine Kinder.
Er liebte dich von Ewigkeit;
Wir sollten ihn nicht lieben?
Den betrüben,
Der uns vom ew′gen Fluch befreit?
Nicht jede Tugend üben?

Ja, lieben lieben wollen wir
Dich ewig, Gott der Liebe!
Doch heilige, wir flehen dir,
Erst unsers Herzens Triebe!
Dann sey es, Gott! dir ganz geweiht,
Und ihm, des Weibes Samen!
Amen! Amen!
Von Ewigkeit zu Ewigkeit
Sey Ehre deinem Namen!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Gottes ewiger Ratschluss von Christian Friedrich Daniel Schubart

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gottes ewiger Ratschluss“ von Christian Friedrich Daniel Schubart ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit der Theodizee-Frage, also der Frage, wie die Existenz von Leid und Ungerechtigkeit in der Welt mit der Vorstellung eines allmächtigen, gütigen Gottes vereinbar ist. Das Gedicht beschreibt in eindringlichen Bildern die allumfassende Voraussicht Gottes, die er bereits vor der Erschaffung der Welt und des Menschen hatte. Er sah das Leid, die Sünde und den Untergang, die der Menschheit bevorstanden, doch gleichzeitig war er bereit, eine Lösung zu finden, die auf Liebe und Vergebung basierte.

In den ersten Strophen wird Gottes allwissende Perspektive betont. Er sieht bereits vor der Schöpfung den Fall der Menschheit, das Leid und die Gewalt, die in der Welt herrschen werden. Es werden Bilder von Krieg, Tyrannei, Götzendienst und moralischem Verfall entworfen, um das Ausmaß des menschlichen Elends zu verdeutlichen. Die Verwendung von starken Bildern wie „Abel blutig liegen“ und „die allgemeinen Fluth“ erzeugt eine düstere Atmosphäre und verdeutlicht die Tragweite der menschlichen Sünden. Dies dient dazu, die Notwendigkeit der göttlichen Intervention zu unterstreichen und die Größe des Opfers, das Gott bringen wird, zu erhöhen.

Der Wendepunkt des Gedichts ist die Ankunft Jesu Christi, der als Bürge für die Sünden der Menschheit auftritt und bereit ist, sich zu opfern. Der Sohn bittet den Vater, die Menschheit zu verschonen und bietet sich als Opfer an. Diese Geste der Liebe und des Opfers ist der Schlüssel zur Versöhnung. Durch das Opfer Jesu wird der Zorn Gottes gemildert und die Möglichkeit der Vergebung geschaffen. Die Bilder von Gethsemane und Golgatha unterstreichen die Leiden Jesu und die Tiefe der Liebe, die er für die Menschheit empfindet.

Das Gedicht gipfelt in der triumphierenden Aussage „Gott ist die Liebe!“. Durch das Opfer Jesu wird die Liebe Gottes offenbar und die Möglichkeit der Erlösung geschaffen. Die abschließenden Strophen sind ein Aufruf zur Liebe und Dankbarkeit gegenüber Gott und seinem Sohn. Die Gläubigen werden dazu aufgefordert, die Liebe Gottes anzunehmen und ihr Leben ihm zu widmen. Der Aufruf „Ja, lieben lieben wollen wir / Dich ewig, Gott der Liebe!“ ist Ausdruck des Dankes und des Wunsches nach ewiger Verbindung mit Gott. Die Schlussverse sind eine feierliche Bekräftigung des Glaubens und der Hoffnung auf Erlösung und ewige Ehre für Gott.

Schubarts Gedicht ist somit eine tiefgründige Reflexion über die Themen Leid, Sünde, Erlösung und Liebe. Es verbindet die düstere Darstellung der menschlichen Tragödie mit der Hoffnung auf göttliche Gnade und Vergebung. Die Verwendung von lebendigen Bildern und emotionalen Appellen macht das Gedicht zu einem eindrucksvollen Zeugnis des Glaubens und der Hoffnung auf ewige Liebe und Versöhnung.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.