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Buch des Krieges

Von

Mein Freund du, gebrochenes Auge nun,
Gebrochener Blick wie der des erschossenen Hasen
Oder verächtlichen, kalten Verräters –
Zwölf Jahre gemeinsam sprang uns der Zeitwind entgegen,
Schweigsam teilten wir Bücher und Brot,
Teilten im Schulhaus die Bänke,
Des Lebenshindranges rauschende Not,
Einigen Sinnes Erkennung und Lehre,
Freund, dein Auge ist tot.

Darum deine Mutter im Kummer nun geht,
Harmvoll, seufzend, doch schlicht in der Menge,
Darum Klein-Schwester, Klein-Brüder zu frühe schon spüren
Verfinsternd qualmendes Schicksalgewitter
Und mächtiges Mähen des Todes.
Leer ist dein Bett in der ärmlichen Kammer
Und dein Platz am Tische des Mittags.
Und darum, daß niemand mehr wartet auf dich,
Geht grau deine Mutter im Kummer.

Du wärst eine Wurzel, ein Saatkorn,
Ein trotzender Keim in den Furchen des Lebens,
Ein bärtiger Vater von freundlichen Kindern geworden.
Ein schmerzenzerpflügtes Ackerland fraß dich,
Ein blutbedüngter Acker verdarb dich,
Der weise und ewige Säer zertrat dich.
Wer hadert und redet von Schuld?
Doch wärst du ein Saatkorn und wärest ein Vater!

Du wärest das Saatkorn – und wurdest doch Opfer;
Ein tausendstel Gramm nur, ein blutendes Fleisch
Fielst du auf blutleerer Leichen unendlich Gebirge.
Ist auch dein Tod nicht mehr denn ein anderer Tod.
Marschierten doch Tausend und Tausende rhythmischen Schrittes
Hinweg in das qualschwarze Nichts,
Regiment und Brigade, Armee und Armeen
Ins blutigbefleckte Ruhm-Reich des toten Soldaten.
Du wurdest ein Opfer.

Der Brimont ist kahl und sein Wald ist zerschroten,
Keine Fichte verschont, dir daraus ein Grabkreuz zu schlagen.
So liegst du stumm in zertrümmertem Boden,
In brustbedrückendem, traumlosen Schlummer.
Nicht Held, noch Führer – Soldat nur, unbekannt.
Gebein im Wind der Verwesung.
Doch des gewaltigen Friedens unzählbare, selige Glanzlegionen,
Wenn ehern und klirrend sie über dein Grabfeld marschieren,
Wirst du erschauernd einst hören,
So horche und harre darauf.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Buch des Krieges von Gerrit Engelke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Buch des Krieges“ von Gerrit Engelke ist ein eindringliches Antikriegsgedicht, das den Verlust eines Freundes im Krieg und die Sinnlosigkeit der Gewalt thematisiert. Engelke erzählt vom Tod eines langjährigen Freundes, dessen „gebrochenes Auge“ zum Symbol für den sinnlosen Tod unzähliger Soldaten wird. Das Bild des „erschossenen Hasen“ oder „kalten Verräters“ zeigt das Grauen und die Entmenschlichung im Angesicht des Todes. Der Verlust wird nicht nur auf persönlicher Ebene beklagt, sondern als Teil eines größeren Schicksals verstanden.

Die Trauer der Familie des Gefallenen – „deine Mutter im Kummer“ und die „Klein-Schwester, Klein-Brüder“ – verdeutlicht die tiefen Wunden, die der Tod in der Heimat hinterlässt. Der Tod ist nicht nur das Ende eines einzelnen Lebens, sondern ein Bruch im sozialen Gefüge. Engelke zeigt die Einsamkeit und Leere, die in das Alltagsleben der Hinterbliebenen einziehen: „Leer ist dein Bett“ und „dein Platz am Tische“.

In der dritten Strophe weitet der Dichter den Blick auf das zerstörte Potenzial des Freundes: Er hätte „ein bärtiger Vater von freundlichen Kindern“ werden können, doch der Krieg „verderbt“ ihn wie ein zerstörtes „Saatkorn“. Hier wird das Opfer in die größere Metapher des sinnlosen Verschleißes von Menschen im Krieg eingebettet. Der Krieg wirkt wie ein „blutbedüngter Acker“, auf dem die Leben junger Männer sinnlos geopfert werden.

Engelke verknüpft den Einzeltod mit der anonymen Masse der Gefallenen: „Tausend und Tausende“ marschieren „ins blutigbefleckte Ruhm-Reich des toten Soldaten“. Der Tod des Freundes ist „nicht mehr denn ein anderer Tod“ und steht für die unzähligen namenlosen Opfer eines entfesselten Krieges. Die Vorstellung vom „Brimont“, einem kahlgeschossenen Schlachtfeld ohne Grabkreuze, macht das Fehlen von Würde und Individualität im Massengrab des Krieges spürbar.

Im letzten Bild schimmert eine ferne Hoffnung auf: Die „Glanzlegionen“ des „gewaltigen Friedens“ werden vielleicht eines Tages über das Schlachtfeld ziehen. Doch bis dahin bleibt der Freund ein „unbekannter Soldat“ im „brustbedrückenden Schlummer“. Engelkes Gedicht ist eine eindringliche Anklage gegen die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Krieges und zugleich eine stille Hoffnung auf eine bessere, friedlichere Zukunft.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.