Im Herbst
Die Sonnenblumen leuchten am Zaun,
Still sitzen Kanke im Sonnenschein.
Im Acker mühn sich singend die Frau’n,
Die Klosterglocken läuten darein.
Die Vögel sagen dir ferne Mär‘,
Die Klosterglocken läuten darein.
Vom Hof tönt sanft die Geige her.
Heut keltern sie den braunen Wein.
Da zeigt der Mensch sich froh und lind.
Heut keltern sie den braunen Wein.
Weit offen die Totenkammern sind
Und schön bemalt vom Sonnenschein.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Im Herbst“ von Georg Trakl entfaltet eine ländliche Herbstszene, die sich gleichzeitig von einer heiteren und einer düsteren Seite zeigt. Zu Beginn wird ein idyllisches Bild von „Sonnenblumen“, die „am Zaun leuchten“, und „still sitzenden Kanken im Sonnenschein“ gezeichnet. Die ländliche Idylle wird durch die „singenden Frauen“ auf dem Acker und das sanfte Läuten der „Klosterglocken“, die in die Szene hineinklingen, weiter verstärkt. Diese Bilder vermitteln eine friedliche und harmonische Atmosphäre, in der die Natur und die Menschen in Einklang miteinander stehen.
In der zweiten Strophe wird die Heiterkeit jedoch durch eine unterschwellige Dunkelheit ergänzt. Die „Vögel“ erzählen „ferne Mär‘“, und die „Klosterglocken“ läuten erneut – ein wiederkehrendes Motiv, das sowohl den Rhythmus des Lebens als auch das Einläuten einer gewissen Endgültigkeit in die Szene bringt. Die „Geige“, die vom Hof her tönt, trägt zu dieser Stimmung bei, da Musik oft sowohl Freude als auch Melancholie in sich trägt. Das „Keltern des braunen Weins“ steht als Symbol für den Übergang von der Erntezeit in eine Phase des Genusses, aber auch des Gedenkens. Wein ist in vielen Kulturen ein Symbol für Leben und Tod, für den Kreislauf der Natur und der menschlichen Existenz.
In der dritten Strophe tritt eine tiefere, dunklere Dimension hervor. Der Mensch, der sich „froh und lind“ zeigt, wird in den Kontext der „Totenkammern“ gestellt, die „weit offen“ sind. Diese „Totenkammern“ – wohl als Symbol für den Tod – sind „schön bemalt vom Sonnenschein“, was auf eine seltsame, fast paradoxe Schönheit des Todes hinweist. Die Sonne, die üblicherweise Leben und Wärme symbolisiert, erleuchtet hier die Kammern des Todes und lässt sie in einem neuen Licht erscheinen. Diese Kontraste zwischen Leben und Tod, zwischen Licht und Dunkelheit, erzeugen eine ambivalente Atmosphäre, in der das Schöne und das Unabwendbare miteinander verschmelzen.
Trakls Gedicht spielt auf subtile Weise mit den Themen der Vergänglichkeit und des Kreislaufs von Leben und Tod. Der Herbst, als Übergang zwischen Sommer und Winter, wird als Metapher für das Leben selbst genutzt – in seiner Fülle, aber auch in seiner Unausweichlichkeit. Der Tod ist nicht nur das Ende, sondern wird hier durch die „Totenkammern“, die vom „Sonnenschein“ beleuchtet werden, als ein Bestandteil des Lebens und der natürlichen Ordnung dargestellt. Die Harmonie der Natur und die Feier des Lebens stehen somit im Zusammenhang mit der unaufhaltsamen Präsenz des Todes.
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Lizenz und Verwendung
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