Geistesgruß
Hoch auf dem alten Turme steht
Des Helden edler Geist,
Der, wie das Schiff vorübergeht,
Es wohl zu fahren heißt.
„Sieh, diese Senne war so stark,
Dies Herz so fest und wild,
Die Knochen voll von Rittermark,
Der Becher angefüllt;
„Mein halbes Leben stürmt ich fort,
Verdehnt′ die Hälft in Ruh,
Und du, du Menschenschifflein dort,
Fahr immer, immer zu!“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Geistesgruß“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eine kurze, prägnante Betrachtung über das Leben, die Vergänglichkeit und die ewige Reise des Menschen. Es präsentiert das Bild eines verstorbenen Helden, der von einem alten Turm aus einem vorbeifahrenden Schiff Nachruf und Ermutigung zuruft. Der Held, dessen Geist nun hoch über den irdischen Dingen schwebt, blickt auf sein eigenes vergangenes Leben und gibt den lebenden Menschen einen weisen Rat mit auf den Weg.
Die ersten Strophen etablieren die Szenerie und den sprechenden Helden. Der „edle Geist“ des Helden steht erhaben auf einem alten Turm, ein Symbol für vergangene Größe und Erinnerung. Von dieser Höhe aus beobachtet er das „Menschenschifflein“, ein Metapher für das Leben, das ständig in Bewegung ist. Der Held, der einst selbst ein aktiver Teil dieses Lebens war, erinnert an seine eigenen Stärken: „Diese Senne war so stark, / Dies Herz so fest und wild, / Die Knochen voll von Rittermark, / Der Becher angefüllt“. Diese Zeilen beschwören ein Bild von Kraft, Wildheit und Lebensfreude, die den Helden einst auszeichneten.
In den folgenden Zeilen reflektiert der Held über sein eigenes Leben, das er in zwei Hälften teilt: die erste, stürmische Hälfte und die zweite, ruhige Hälfte. Dies deutet auf ein erfülltes Leben mit Höhen und Tiefen, mit Aktivität und Besinnung hin. Die Schlusszeilen des Gedichts sind eine Aufforderung an das „Menschenschifflein“: „Fahr immer, immer zu!“. Dies ist keine Anweisung, sondern eine Ermutigung. Der Held drückt die Notwendigkeit des Weitergehens, des unaufhörlichen Lebensweges aus, unbeeinflusst von den eigenen vergangenen Erfahrungen oder dem bevorstehenden Ende. Es ist ein Appell zur Ausdauer und zur fortwährenden Reise, die das Leben bedeutet.
Goethes Gedicht ist ein klassisches Beispiel für die Verbindung von Natur, Geschichte und menschlicher Existenz. Der Turm, der Held, das Schiff – alle Elemente sind eng miteinander verwoben und vermitteln eine universelle Botschaft. Es ist eine Mahnung, das Leben in vollen Zügen zu leben, die Höhen und Tiefen zu akzeptieren und trotz der Vergänglichkeit des eigenen Daseins weiterzumachen. Der „Geistesgruß“ ist somit ein zeitloser Aufruf zur Lebensbejahung und zur Akzeptanz des Schicksals.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.