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Geburtstagsgruß

Von

Heut war dein Todestag. Ich konnt nicht beten,
ich konnt nicht weinen; müde schwieg mein Herz.
Zur Nachtzeit war ich in den Wald getreten;
starr lag er da, wie eine Welt von Erz.

Schläfst du denn, Leben? Will sich gar nichts regen?
Mich dünkt, ich selber wär vor Leid versteint.
Es meidet mich der Thränen linder Segen,
und dieser Nacht bleibt selbst ihr Thau verneint.

So still, so ernst, so bleiern! Mitternacht!
Wohin hat sich das Leben denn verkrochen?
Als ob der Tod mit seiner schwarzen Pracht
erdrückt des Erdenherzschlags lautes Pochen.

Da … nein, das .. ist … o Gott, das ist ja Traum,
das muß ja Traum sein, denn die Wirklichkeit
erdichtet solche Wunderthaten kaum …

Ein Vogel singt, um Mitternacht! .. ganz leise,
als flüstern liebe Lippen, singt er; schauernd
beugt sich mein Knie der wunderbaren Weise.

Das ist kein Vogel, was da oben singt,
das ist die fleischgewordene Erbarmung
der ewigen Liebe, die den Tod bezwingt
und Starres weckt zu seliger Erwarmung.

Und plötzlich dünkt der Wald mich ganz erhellt,
in weißen Kränzen seh ich Wesen gleiten,
die lichten Söhne einer andern Welt,
die nach der Schwester ihre Arme breiten.

Heut ist dein Todestag! Nun kann ich beten,
nun kann ich weinen … Freudenthränen weinen …

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Geburtstagsgruß von Maria Janitschek

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Geburtstagsgruß“ von Maria Janitschek ist eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Trauer, dem Gefühl der Leere und der plötzlichen Wiederentdeckung von Hoffnung und Trost in der Natur und der göttlichen Liebe. Es beginnt mit der Beschreibung einer tiefen emotionalen Lähmung am Jahrestag des Todes einer geliebten Person. Die Sprecherin ist unfähig zu beten oder zu weinen, ihr Herz schweigt müde. Die Natur spiegelt diese innere Starre wider: Der Wald wirkt „wie eine Welt von Erz,“ still, ernst und bleiern, und die Nacht versagt sogar ihren Tau, wodurch die Welt völlig erstarrt erscheint.

Die zentrale Wendung des Gedichts geschieht in der dritten Strophe mit dem unerwarteten Auftreten eines singenden Vogels in der Mitternachtsstille. Dieses Ereignis durchbricht die vorherrschende Trauer und Starre. Der Vogelgesang wird nicht als bloßes Naturereignis, sondern als ein göttliches Zeichen interpretiert, als „die fleischgewordene Erbarmung“ der ewigen Liebe. Dieser Gesang überwindet den Tod und weckt die Sprecherin aus ihrer emotionalen Erstarrung.

Die Transformation setzt sich fort, als die Sprecherin imaginäre Wesen, die „lichten Söhne einer andern Welt“ in weißen Kränzen den Wald durchgleiten sieht. Sie interpretieren dies als eine Geste der Liebe und des Trostes, ein Zeichen der Verbundenheit und des Lebens nach dem Tod. Diese Vision löst die vorherige Verzweiflung vollständig auf und ermöglicht es der Sprecherin, ihren Glauben und ihre Trauer in Freudentränen zu verwandeln.

Die Botschaft des Gedichts ist eine der Hoffnung und der Wiedergeburt. Es zeigt, wie Trauer und Verzweiflung durch die Begegnung mit dem Göttlichen überwunden werden können, symbolisiert durch den Vogelgesang und die Vision der Wesen aus einer anderen Welt. Die Autorin nutzt eine einfache, aber kraftvolle Sprache, um die Leser in die tiefe emotionale Reise der Sprecherin mitzunehmen, von der Leere zum Trost, von der Starre zur Erleuchtung und vom Tod zum Leben.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.