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Gastrecht

Von

Alexander Ypsilanti stürzt vom Schlachtfeld kampferhitzt,
Wo die Freiheit ihres Blutes letzten Tropfen hat verspritzt,
Wo er einen hohen Orden sich gewonnen, unbewußt,
Eine schöne Heldenwunde, klaffend vorn an seiner Brust.

So mit stolzer Purpurrose seinen Busen ausgeschmückt,
In der Hand den Stumpf des Schwertes, kampfzerbrochen und zerstückt
Tritt der Held auf Oestreichs Boden, – o beträt’ er ihn doch nicht!
Beut vertrauend uns die Hände, tritt an unsern Herd und spricht:

»Wenig ist’s, darum ich flehe! Gebt mir Linnen zum Verband,
Laßt an eurer Luft mich laben, und erfreu’n an eurem Land!«
Mächt’ger als der Mund des Gastes spricht sein rinnend Heldenblut!
Und sie heißen ihn willkommen, und zu bleiben wohlgemuth:

»Munkats ist ein hübsches Schlößlein, Luft und Aussicht schön und rein!
Nur beschränkt euch noch einstweilen auf ein einz’ges Fensterlein;
An Verband soll’s auch nicht fehlen, der wohl fest und gut euch paßt,
Scheint er auch zu sein von Eisen, gleicht er auch den Ketten fast.« –

Durch sein Gitterfenster nieder blickt der Griechenheld aufs Land,
Das in schwelgerischer Fülle zaubervollen Lenzes stand:
»O wie können Rosen duften, Saat und Frucht noch schwellen dicht,
Saft’ge Reben lockend winken, wo des Gastes Recht man bricht?« –

Sieben lange Jahr’ in Ketten dort der Leu aus Hellas lag.
Sieh, nun löst man sie, daß wieder frei mit uns er wandeln mag!
Aber kaum nach sieben Tagen brach der Tod sein Herz entzwei!
Traun, mich dünkt, daß er gestorben wohl an unsrer Freiheit sei!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Gastrecht von Anastasius Grün

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Gastrecht“ von Anastasius Grün ist eine eindringliche Kritik am österreichischen Kaiserreich und seiner Behandlung von Alexander Ypsilanti, einem Helden des griechischen Unabhängigkeitskrieges. Es ist eine bittere Anklage der Doppelmoral und des Verrats an den Idealen von Freiheit und Gastfreundschaft.

Die erste Strophe stellt Ypsilanti als einen tapferen Krieger dar, der im Kampf für die Freiheit verwundet wird. Grün zeichnet das Bild eines Helden, der mit seinem Mut und seinem Einsatz für eine edle Sache Anerkennung verdient. Seine Wunde, die „schöne Heldenwunde“, wird fast als Auszeichnung inszeniert, was die Tragik umso stärker macht. Dieser Held sucht in Österreich Zuflucht und erbittet „Gastrecht“, was im Folgenden ironisch gebrochen wird.

Die zweite Strophe beginnt mit der herzlichen Aufnahme Ypsilantis, wobei die Gastfreundschaft zunächst großzügig erscheint. Es wird ihm medizinische Versorgung versprochen und eine angenehme Unterkunft, die jedoch auf ein einziges Fenster beschränkt ist. Der letzte Vers dieser Strophe deutet bereits das Unheil an, indem er die Festigkeit des Verbands mit Ketten assoziiert. Die scheinbar wohlmeinende Geste der Aufnahme entpuppt sich als perfide, ein „Gastrecht“ unter Bedingungen, die dem Gefangensein gleichen.

Die dritte Strophe zeigt Ypsilanti im Gefängnis, dessen Blick durch das Gitterfenster auf die blühende Landschaft gerichtet ist. Die Schönheit der Natur, die üppige Ernte und die duftenden Rosen kontrastieren scharf mit seiner Gefangenschaft. Die rhetorische Frage, die er stellt, verdeutlicht die Ungerechtigkeit und den Bruch des Gastrechts. Wo Freiheit verwehrt wird, kann auch keine natürliche Ordnung herrschen. Der Kontrast zwischen der Lebensfülle draußen und der Gefangenschaft im Inneren unterstreicht die Sinnlosigkeit seines Leidens.

Die abschließenden Verse sind ein Höhepunkt der Ironie und der Kritik. Ypsilanti wird nach sieben Jahren freigelassen, stirbt aber kurz darauf. Grün deutet an, dass er nicht am physischen Leid, sondern am Verlust der Freiheit und am Verrat der Gastfreundschaft gestorben ist. Der letzte Vers, „Traun, mich dünkt, daß er gestorben wohl an unsrer Freiheit sei!“, ist eine scharfe Anklage an das österreichische Regime. Er unterstreicht, dass die Freiheit, die Österreich beansprucht, eine leere Hülle ist, wenn sie anderen verwehrt wird und das Gastrecht mit Füßen getreten wird. Das Gedicht ist so eine Mahnung an die Bedeutung von Freiheit und Mitgefühl.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.