Frühlingstraum
Ich träumte von bunten Blumen,
So wie sie wohl blühen im Mai;
Ich träumte von grünen Wiesen,
Von lustigem Vogelgeschrei.
Und als die Hähne krähten,
Da ward mein Auge wach;
Da war es kalt und finster,
Es schrien die Raben vom Dach.
Doch an den Fensterscheiben,
Wer malte die Blätter da?
Ihr lacht wohl über den Träumer,
Der Blumen im Winter sah?
Ich träumte von Lieb′ und Liebe,
Von einer schönen Maid,
Von Herzen und von Küssen,
Von Wonne und Seligkeit.
Und als die Hähne kräten,
Da ward mein Herze wach;
Nun sitz ich hier alleine
Und denke dem Traume nach.
Die Augen schließ′ ich wieder,
Noch schlägt das Herz so warm.
Wann grünt ihr Blätter am Fenster?
Wann halt′ ich mein Liebchen im Arm?
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Frühlingstraum“ von Wilhelm Müller, das im Rahmen der Winterreise vertont wurde, fängt die melancholische Stimmung eines jungen Mannes ein, der von den Freuden des Frühlings und der Liebe träumt und abrupt in die Realität des kalten Winters und der Einsamkeit zurückkehrt. Die Struktur des Gedichts ist durch einen klaren Kontrast zwischen Traum und Erwachen geprägt, der die Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit verdeutlicht. Der Autor benutzt einfache, volkstümliche Sprache, die dem Gedicht eine schlichte, fast kindliche Anmutung verleiht, die jedoch die tiefe Sehnsucht des lyrischen Ichs umso stärker hervorhebt.
Die ersten beiden Strophen beschreiben den Frühlingstraum, der von bunten Blumen, grünen Wiesen, Vogelgezwitscher und der Liebe zu einer schönen Maid geprägt ist. Diese Bilder der Freude und des Glücks werden durch das Erwachen des Hahnenschreis abrupt unterbrochen. Der Übergang zur Realität wird durch die Beschreibung der kalten und finsteren Umgebung sowie der Raben, die vom Dach schreien, verdeutlicht. Diese düstere Szenerie steht im krassen Gegensatz zu den frühlingshaften Bildern des Traumes und symbolisiert die Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit des lyrischen Ichs in der kalten Jahreszeit.
Die dritte Strophe fügt eine weitere Ebene hinzu, indem sie die Illusion des Traumes mit der Realität des Winters konfrontiert. Die Blätter an den Fensterscheiben, die scheinbar vom Frühling gemalt wurden, sind in Wahrheit nur das Ergebnis von Eisblumen. Diese Täuschung wirft die Frage nach der Echtheit der eigenen Wahrnehmung und der eigenen Hoffnungen auf. Die Zeilen „Ihr lacht wohl über den Träumer, / Der Blumen im Winter sah?“ deuten auf eine gewisse Selbstironie und das Bewusstsein des lyrischen Ichs für die Absurdität seiner Träume in der kalten Jahreszeit hin.
Die letzte Strophe wiederholt das Motiv des Erwachens nach einem Liebestraum und verstärkt das Gefühl der Sehnsucht und Einsamkeit. Obwohl das Herz noch warm schlägt von den Erinnerungen an Liebe und Glück, ist das lyrische Ich wieder allein. Die abschließenden Fragen nach dem Erblühen der Blätter am Fenster und der Umarmung des Liebchens drücken die tiefe Sehnsucht nach dem Frühling und der Erfüllung der Liebe aus. Diese Fragen bleiben jedoch unbeantwortet und lassen den Leser mit einem Gefühl der Melancholie und des Wartens zurück, was die zentrale Thematik des Gedichts, die Unvereinbarkeit von Traum und Wirklichkeit, unterstreicht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.