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Entschuldigung

Von

Kam einst ein englischer Kapitan
Zu Stambul in dem Hafen an,
Der wollte nach der langen Fahrt
Sich gütlich tun nach seiner Art,
Und in Stambuls krummen Gassen
Vor den Leuten sich sehen lassen.
Hatte auch weit und breit gehört,
Wie die Türken so schöne Pferd,
Reiche Geschirr und Sättel haben;
Wollte auch wie ein Türke traben,
Und bestellt auf abends um vier
Ein recht feurig arabisch Tier.
Ziehet sich an im höchsten Staat,
Rotem Rock, mit Gold auf der Naht,
Schwärzt den Bart um Wange und Maul
Und steigt Punkt vier Uhr auf den Gaul.
Drauf, als er reitet durch das Tor,
Kam es den Türken komisch vor,
Hatten noch keinen Reiter gesehn
Wie den englischen Kapitän;
Die Knie hatt er hinaufgezogen,
Und seinen Rücken krumm gebogen,
Die Brust mit den Tressen eingedrückt,
Auch den Kopf tief herabgebückt,
Saß zu Pferd wie ein armer Schneider.
Doch der Schiffskapitän ritt weiter,
Glaubte getrost die Türken lachen
Aus lauter Bewundrung in ihrer Sprachen.
So ritt er bis zum großen Platz,
Da macht der Araber einen Satz
Und steigt; der englische Kapitän
Ergreift des Arabers lange Mähn,
Gibt ihm verzweiflungsvoll die Sporen,
Und schreit ihm auf englisch in die Ohren;
Das Roß den Reiter nicht verstand,
Setzt wieder und wirft ihn in den Sand.
Die Türken den Rotrock sehr beklagen,
Haben ihn auch zu Schiff getragen,
Und seinem Dragoman, einem Scioten,
Haben sie hoch und streng verboten,
Er dürf′s nimmer wieder leiden,
Daß der Herr den Araber tät reiten.
Als sie verlassen den Kapitan,
Befiehlt er gleich dem Dragoman,
Ihm auf englisch auszudeuten,
Was er gehört von diesen Leuten.
Der Grieche spricht: »Es ist nichts weiter,
Sie glauben Ihr seid ein schlechter Reiter,
Wollen Ihr sollt in Stambuls Gassen
Nimmer zu Pferd Euch sehen lassen.«
Des hat sich der Kapitän gegrämt
Und vor den Türken sehr geschämt.
Spricht zum Dragoman: »Geh hinein
Und sage den Türken, es kommt vom Wein.
Der Herr ist sonst ein guter Reiter,
Aber heut an der Tafel, leider,
Hat er sich ziemlich im Sekt betrunken,
Da ist er im Rausche vom Pferd gesunken.«
Der Grieche ging zum Hafentor
Und trug den Türken die Sache vor.
Doch diese hören ihn schaudernd an:
»Wir glaubten Gutes vom roten Mann,
Und dachten er sitze schlecht zu Pferd,
Weil′s ihn sein Vater nicht besser gelehrt;
Aber wie! vom Weine betrunken,
Ist er im Rausche vom Pferd gesunken!
Pfui dem Giaur und seinem Glas,
Allah tue ihm dies und das!«
Da sprach ein alter Muselmann:
»Glaubt′s nicht Leute, höret mich an,
Nicht weil der Frank zu viel getrunken,
Ist er schmählich vom Roß gesunken.
Hab gleich gedacht es wird so gehn,
Als ich ihn habe reiten sehn,
Die Knie hoch hinaufgezogen,
Den Rücken krumm und schief gebogen,
Die Brust mit Tressen eingedrückt,
Kopf und Nacken niedergebückt.
Denk ich, wenn sein Rößlein scheut,
Ihn sein Reiten gewiß gereut.
Aber nein, ich will euch sagen,
Warum er wollte den Wein verklagen,
Und stellt sich lieber als Säufer gar
Denn als ein schlechter Reiter dar.
Das macht des Menschen Eitelkeit,
Die ihn zu Trug und Lug verleit′.
Will mancher lieber ein Laster haben,
Hätt er nur andere glänzende Gaben;
Und mancher lieber eine Sünd gesteht,
Eh er eine Lächerlichkeit verrät;
Ein dritter will gar zur Hölle fahren,
Um sich ein falsch Erröten zu sparen.
So auch der fränkische Kapitan,
Schämt sich und lügt uns lieber an,
Will lieber Säufer sich lassen schelten,
Als für einen schlechten Reiter gelten.«

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Gedicht: Entschuldigung von Wilhelm Hauff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Entschuldigung“ von Wilhelm Hauff ist eine humorvolle und zugleich satirische Erzählung, die sich um die Eitelkeit und das Selbstbild des Menschen dreht. Es beschreibt die missglückte Reitpartie eines englischen Kapitäns in Istanbul und die anschließenden Versuche, die Blamage zu erklären und zu rechtfertigen.

Die Geschichte beginnt mit dem englischen Kapitän, der, nach einer langen Seefahrt, in Istanbul ankommt und sich auf amüsante Weise in der türkischen Kultur präsentieren möchte. Sein Versuch, auf einem arabischen Pferd zu reiten, endet jedoch in einer peinlichen Bauchlandung. Hauff beschreibt die Szene mit spitzer Zunge und zeichnet ein groteskes Bild des Kapitäns, der sich auf dem Pferd ungeschickt und unbeholfen verhält. Die Reaktion der Türken, die über den Anblick lachen, verstärkt die Demütigung des Kapitäns.

Der Kern des Gedichts liegt in den Versuchen des Kapitäns, seine Blamage zu erklären. Zuerst wird die Schuld dem Wein zugeschrieben, eine Ausrede, die jedoch die Türken nur noch mehr empört. Ein alter Muslim, der die Szene beobachtet hat, durchschaut die wahre Motivation des Kapitäns: Seine Eitelkeit ist so groß, dass er es vorzieht, als betrunkener Säufer zu gelten, als als schlechter Reiter dazustehen. Diese Erkenntnis offenbart die eigentliche Moral des Gedichts: Die menschliche Eitelkeit ist so tiefgreifend, dass sie uns zu Lügen und Täuschungen verleiten kann, um das eigene Selbstbild zu schützen, selbst auf Kosten der Wahrheit.

Hauffs Gedicht ist geprägt von einer ironischen und humorvollen Erzählweise. Die detaillierten Beschreibungen, die lebendigen Dialoge und der Einsatz von türkischen Ausdrücken verleihen der Geschichte eine besondere Lebendigkeit. Die Reimform und der eingängige Rhythmus machen das Gedicht leicht zugänglich und unterstreichen seine satirische Wirkung. Durch die pointierte Darstellung der menschlichen Schwächen gelingt es Hauff, den Leser zum Schmunzeln zu bringen und gleichzeitig zum Nachdenken über die eigene Eitelkeit anzuregen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.