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Eleonoren

Von

Noch weil′ ich in der Frühlingslaube,
Und gebe mich der Glut gefangen,
Die nicht des Westes Fittig kühlt,
Der hier um meine blassen Wangen
So abendlich, so leise spielt.
Mein Wesen wird der Kraft zum Raube,
Die magisch in mir wirkt und webt,
Indeß der gottvertraute Glaube
Sein Haupt nach jenen Sternen hebt.

Die Frühlingsluft, die mich durchschauert,
Sie weckt in meinem kranken Herzen
Des wunderbaren Stromes Lauf,
Die bittre Lust, die süßen Schmerzen
Der ungestillten Sehnsucht auf,
Die nach dem Gut, das ewig dauert,
Nach der entschwundnen goldnen Zeit,
Wie die gefangne Psyche trauert,
Und der kein Gott die Flügel leiht.

Ich seh′ sich mir die Wolken neigen,
Mir beut der Lenz die zarten Schwingen,
Um in des Herzens regem Drang
Dem schönen Gotte nachzudringen,
Der heute sich der Erd′ entschwang.
Die Blumen, so der Flur entsteigen,
Sie scheinen meinem Liebeswahn
Der Sehnsucht hohe Bahn zu zeigen,
Sie blicken alle himmelan.

Erbärmlich Loos der Staubgebornen,
Daß ihres Lebens höchste Blüte
Vom Athem des Genusses stirbt,
Und alles, dem ihr Herz entglühte,
Nur in der Ferne Reiz erwirbt!
Daß mit dem Schimmer des Erkornen
Auch die Empfänglichkeit zerfließt,
Zum oft Gefundnen, oft Verlornen
Die Sehnsucht sich ins Grab verschließt.

Da stehn sie einsam, mit den Narben
Erschlag′ner Himmelsseligkeiten
In der zerrißnen, wunden Brust,
Ruinen der Vergangenheiten,
Des frühen Traums sich kaum bewußt,
Und schaun auf Keime, die erstarben,
Mit fürchterlichem Geize hin.
Sie sind so reich, so voll und darben
Mit ihrem königlichen Sinn.

Willst du dem Weltentanz entfliehen?
Willst du allein die Wüste wählen,
Und aus des Meisters heil′gem Ring
Die zarteste der Perlen stehlen,
Die je der Orient empfing?
Willst du, wo tausend Blumen blühen,
Mit abgewendetem Gesicht
In stolzem Gram vorüberziehen?
Das kannst du schöne Seele nicht!

Laß durch die Schöpfungen uns wallen!
Was hier sich unsrem Blick verloren,
Entschwand nicht aus des Vaters Reich,
In schönern Welten neugeboren
Lebt es den sel′gen Geistern gleich.
Mag aus der Hand die Blüte fallen,
Sie fällt an einen bessern Ort,
Mag Philomelens Ton verhallen,
Die Sphären tönen ewig fort.

Der schnelle Flug des Erdenglückes
Soll das Gemüth zum Lande heben,
Wo, durch den Raum nicht mehr getrennt,
Die abgeschiednen Stunden leben,
Wo die erloschne Flamme brennt;
Wohin die Schwinge deines Blickes,
Im Sternenschimmer früh schon flog,
Wohin der Sieger des Geschickes,
Der größer als Alcides, zog.

Hat dieses Lied die Lust erneuert,
Die, dir von dort herabgeflossen,
Vom Schmerze nur verdrungen ward,
Hat es dein Herz mir aufgeschlossen –
Dann hab′ ich auf die rechte Art,
Von heil′ger Mitternacht umschleiert,
Von einem Geisterchor geküßt,
Des Heilands Himmelfahrt gefeiert,
Die mir das Fest der Sehnsucht ist.

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Gedicht: Eleonoren von Max von Schenkendorf

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Eleonoren“ von Max von Schenkendorf ist eine tiefgründige Reflexion über Sehnsucht, Vergänglichkeit und die Suche nach Erfüllung. Es entfaltet eine komplexe Gefühlswelt, in der Natur, Liebe und die Suche nach dem Göttlichen miteinander verwoben sind. Das Gedicht beschreibt eine innere Zerrissenheit, die durch die Unzulänglichkeiten des irdischen Lebens und die Sehnsucht nach einem höheren, idealen Zustand hervorgerufen wird.

Der erste Teil des Gedichts ist geprägt von der Erfahrung eines Frühlingsgefühls, das jedoch von einer tiefen Melancholie durchdrungen ist. Die Natur wird als Quelle sowohl der Freude als auch des Leids erlebt. Der Dichter fühlt sich von einer „magischen Kraft“ ergriffen, die ihn in einen Zustand der Sehnsucht versetzt. Die Metaphern der „Frühlingsluft“ und der „Blumen“ symbolisieren die Schönheit und Vergänglichkeit der irdischen Welt. Die Zeile „Die bittre Lust, die süßen Schmerzen der ungestillten Sehnsucht auf“ fängt die ambivalente Natur der Sehnsucht ein, die sowohl Qual als auch Trost birgt.

Die folgenden Strophen vertiefen die Thematik der Vergänglichkeit und des Verlusts. Der Dichter beklagt das „erbärmliche Loos der Staubgebornen“, deren höchste Blüte vom „Athem des Genusses stirbt“. Die Sehnsucht nach dem „ewig Daurenden“ und der „goldnen Zeit“ wird zur treibenden Kraft, die den Dichter durch die Welt führt. Die Metapher der „gefangnen Psyche“ verdeutlicht die Gefangenschaft der Seele in der irdischen Welt und die Sehnsucht nach Befreiung. Das Gedicht wendet sich an eine „schöne Seele“, vermutlich Eleonore, und fragt, ob sie der Welt entfliehen will, um in Einsamkeit nach Erfüllung zu suchen. Die Antwort ist ein klares Nein, denn die wahre Erfüllung liegt nicht in der Flucht vor der Welt, sondern in der Hingabe an sie.

Im weiteren Verlauf des Gedichts wird ein Trost und eine Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod formuliert. Die „Blüte“, die „Philomelens Ton“ und das „Erdenglück“ sind nicht für immer verloren, sondern werden in einer „schönern Welt“ wiedergeboren. Die „abgeschiednen Stunden leben“, wo die „erloschne Flamme brennt“. Das Gedicht endet mit der Feier der „Himmelfahrt“ des Heilands, die als ein Fest der Sehnsucht interpretiert wird. Dieses Fest symbolisiert die Hoffnung auf Erlösung und die Vereinigung mit dem Göttlichen, das die Sehnsucht nach Vollkommenheit erfüllen kann. Die Sehnsucht ist somit nicht nur eine Quelle des Schmerzes, sondern auch die treibende Kraft, die den Menschen zum Göttlichen hinzieht.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.