Die Todtenuhr
Hat das Geisterreich mich auserlesen,
Hab′ ich seinen Winken je gelauscht,
Irdisches mit Ewigen vertauscht –
O so laß mich jetzt das Räthsel lösen!
Wie dem Jüngling die erharrte Stunde,
Die der ersten Liebe Ahnung krönt,
Einer Himmelsbotschaft gleich ertönt,
Also tönt mir der Erlösung Kunde!
Lächelnd horch′ ich deinem Glockenschlage,
Süße, deutungsvolle Todtenuhr,
Meiner Hoffnung zeigt sich eine Spur
Und ich harre sehnsuchtsvoll dem Tage,
Der mich zu dem theuern Heimatslande,
Zu der Insel meiner Thränen bringt,
Wo die zarten Flügel Psyche schwingt,
Frei der langen, ach zu schweren Bande.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Todtenuhr“ von Max von Schenkendorf ist eine Reflexion über den Tod und die Sehnsucht nach Erlösung. Es ist ein Gedicht, das von einer tiefen, persönlichen Beziehung zum Sterben zeugt und die Ruhe, die darin gefunden wird, feiert. Der Autor nähert sich dem Tod nicht mit Furcht, sondern mit einer Art Akzeptanz und sogar Vorfreude, was durch die positive Sprache und die Metaphern zum Ausdruck kommt, die in der gesamten Komposition verwendet werden.
Die erste Strophe etabliert sofort die spirituelle Verbindung des Sprechers mit dem „Geisterreich“. Die Frage „Hat das Geisterreich mich auserlesen?“ deutet auf eine gewählte oder prädestinierte Rolle hin, was impliziert, dass der Tod nicht als Ende, sondern als Übergang zu einem neuen Zustand betrachtet wird. Die Zeilen „Irdisches mit Ewigen vertauscht“ und „O so laß mich jetzt das Räthsel lösen!“ unterstreichen den Wunsch, das Mysterium des Todes zu verstehen und die irdische Existenz gegen eine ewige auszutauschen.
In der zweiten und dritten Strophe wird das Gefühl der Hoffnung und des Trostes verstärkt, das mit dem Tod verbunden ist. Der Glockenschlag der „Todtenuhr“ wird mit der „ersten Liebe“ verglichen, was eine überraschende und poetisch reiche Assoziation darstellt. Diese Analogie suggeriert, dass der Tod eine ebenso bedeutsame und freudige Erfahrung sein kann wie die Liebe. Die Sehnsucht nach dem „theuern Heimatslande“ und der „Insel meiner Thränen“ offenbart ein tiefes Verlangen nach Ruhe und Befreiung, anstatt nur Angst oder Trauer. Die Metapher der Psyche, die „zarte Flügel“ schwingt und sich von den „schweren Banden“ befreit, symbolisiert die endgültige Erlösung und die Freiheit des Geistes.
Insgesamt ist „Die Todtenuhr“ ein Gedicht, das den Tod aus einer ungewöhnlich positiven Perspektive betrachtet. Es ist ein Ausdruck der Sehnsucht nach einer spirituellen Heimat, die durch den Tod erreicht wird. Die Verwendung von positiven Bildern und Vergleichen, wie die Liebe, schafft eine tröstliche Atmosphäre und transformiert die traditionelle Vorstellung vom Tod in eine Erfahrung der Erlösung und des ewigen Friedens. Das Gedicht ist ein Zeugnis der menschlichen Fähigkeit, selbst im Angesicht des Todes Trost und Hoffnung zu finden.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.