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Ein Lied vom Tode

Von

Auf den Hügeln steht er im Morgenrot,
Das gezückte Schwert in der sehn′gen Hand.
»Wer ich bin? ich bin der Befreiertod!
Bin der Tod für die Menschheit, das Vaterland!
Nicht der Leisetreter am Krankenpfühl,
Der den Greis und das Kind auf die Bahre legt –
Nein, der eiserne Stürmer im Kampfgewühl,
Der den Mann und den trotzigen Jüngling erschlägt!

»Unterm blauen lustigen Himmelszelt,
Da durchflieg′ ich, da licht′ ich die jauchzenden Reih′n;
Da werf′ ich sie hin auf das Ackerfeld,
Auf die Blumenflur, auf den Pflasterstein!
O, wie stirbt es sich schön in der Kraft, im Zorn:
Sie liegen, emporgewandt den Blick;
Sie liegen, die Todeswunde vorn
Und das bleiche blutige Haupt im Genick!

»So lagen die Tapfern an Wien und Spree;
So lagen die Turner am Eiderfluß;
So lagen auf jener Schwarzwaldhöh′
Die Freistaatmänner, gefällt vom Schuß.
So liegen und lagen sie hundertweis,
Die der März gefordert und der April;
So findet sie liegen die Rose des Mais,
Daß ihr Grab sie bekränze freundlich und still!

»Die Rose des Mais! – Ja, was bringt der Mai?
Ich will es euch sagen: Hieb und Stich!
Ich will es euch sagen: Trompetenschrei,
Knatternde Salven und abermals mich!
Denn ihr sollt euch gründlich und ganz befrein,
Und das leuchtende Gold, das die Fahn′ euch schmückt
Sei die Tresse nicht bloß, die des Lakai′n,
Die des Kammerdieners Livree bestickt!

»Ja, ihr habt, was ihr tatet, nur halb getan! –
Wer ist, der die Kugel hemmen darf?
Sie roll′ und sie donn′re auf ihrer Bahn,
Bis sie viermal alle Neune warf!
Euch heißt »Rebell« der entschiede Mann.
Der die volle Freiheit zu fordern wagt? –
Ei, wie man so bald nur vergessen kann,
Daß von Aufruhrs Gnaden zu Frankfurt man tagt!

»Demokratische Basis,« die »breiteste« gar!
»Parlament« und »Verfassung,« »Kaiser und Reich!«
Von dem allen ist nur das eine klar:
Einer »Basis« bedürft ihr – ja wohl, für euch!
Eines Stuhles, auf dem ihr behaglich sitzt;
Eines »breitesten,« drauf ihr breit euch macht!
Ihr wollt nur ein Jahr, das wie dreißig blitzt –
Ihr wollt kein Gewitter von vierzig und acht!

»Doch wir schreiben jetzt achtundvierzig, ihr Herrn!
Und das Wetter ist da, und ihr haltet′s nicht auf!
Und wie ihr euch stellen mögt und sperr′n:
Es nivelliert bis zu euch herauf!
Wolken auf Wolken, und Strahl auf Strahl,
Und der Donner kracht, und das Echo gellt;
Der Odem Gottes wieder einmal
Reinigt die faul gewordene Welt!

»Und der sendet auch mich! Ja, ich kam mit dem März,
Schreite streng und ernst von Gefild zu Gefild,
Reiße die Besten, die Kühnsten ans Herz,
Lasse sie fallen feurig und wild!
Und so werd′ ich schreiten und töten zumal,
Bis die Sonne folgt auf das Morgenrot!
O, du Weihelenz in Lust und in Qual –
Vorwärts! ich bin der Befreiertod!«

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Gedicht: Ein Lied vom Tode von Ferdinand Freiligrath

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Lied vom Tode“ von Ferdinand Freiligrath ist eine düstere, pathetische und politisch aufgeladene Auseinandersetzung mit dem revolutionären Geist von 1848 und dem blutigen Preis, der für Freiheit und Wandel gezahlt wird. Es ist ein Zeugnis der Zeit, das sowohl die Euphorie des Aufbruchs als auch die Erkenntnis der unvermeidlichen Gewalt und des Leids, das damit einhergeht, einfängt.

Das Gedicht nimmt die Gestalt des Todes an, der sich selbst als „Befreiertod“ bezeichnet. Diese Personifizierung des Todes ist ein zentrales rhetorisches Mittel, um die radikale Natur der politischen Umwälzungen zu betonen. Der Tod erscheint nicht als sanfter Bote des Friedens, sondern als ein eiserner Stürmer, der im Kampfgewühl wütet und sowohl Männer als auch junge Menschen dahinstreckt. Die blutige Sprache, die Bilder von Schlachtfeldern und sterbenden Soldaten, unterstreichen die brutale Realität des Kampfes um Freiheit. Der Tod marschiert durch die Geschichte, erinnert an Wien, Spree, Eider, Schwarzwald und die Märzkämpfe – die gescheiterten Revolutionen.

Der zweite Teil des Gedichts wendet sich an die „ihr“, die Bürger, die sich nach Freiheit sehnen. Der Tod wirft ihnen vor, die Revolution nicht zu Ende geführt zu haben. Er kritisiert ihre Kompromissbereitschaft, ihre Suche nach „behaglichen“ Zuständen und ihren Wunsch nach einer schnellen, oberflächlichen Veränderung. Er erinnert sie an die „faul gewordene Welt“, die durch die Revolution gereinigt werden muss, und fordert sie auf, sich den Herausforderungen zu stellen. Der Tod wird hier zum Werkzeug der göttlichen Reinigung, die die Welt von Ungerechtigkeit befreien soll.

Die letzten Strophen des Gedichts sind von einer apokalyptischen Atmosphäre geprägt. Der Tod, der mit dem März gekommen ist, verspricht, weiterhin zu töten, bis die Sonne im Morgenrot aufgeht. Er schreitet von Gefild zu Gefild, reißt die Kühnsten an sich und lässt sie fallen. Die abschließenden Zeilen, der „Weihelenz in Lust und in Qual“, verdeutlichen die widersprüchliche Natur der Revolution, die sowohl Ekstase als auch unendliches Leid mit sich bringt. Der Tod ist hier nicht nur Zerstörer, sondern auch Wegbereiter einer neuen Ordnung. Das Gedicht endet mit einem Aufruf zum Weitergehen: „Vorwärts! ich bin der Befreiertod!“ – ein Aufruf, der die Leser sowohl zur Hoffnung als auch zur Furcht auffordert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.