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Ein Knabe stand ich

Von

Ein Knabe stand ich so im Frühlingsglänzen
und meinte aufzuschweben in das All,
unendlich Sehnen über alle Grenzen
durchwehte mich in ahnungsvollem Schwall!
Und Wanderzeiten kamen, rauschumfangen!
Da leuchtete manchmal die ganze Welt,
und Rosen glühten, und die Glocken klangen
von fremdem Lichte jubelnd und erhellt:
Wie waren da lebendig alle Dinge
dem liebenden Erfassen nah gerückt,
wie fühlt’ ich mich beseelt und tief entzückt,
ein lebend Glied im großen Lebensringe!
Da ahnte ich, durch mein Herz auch geleitet,
den Liebesstrom, der alle Herzen nährt,
und ein Genügen hielt mein Ich geweitet,
das heute kaum mir noch den Traum verklärt

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Gedicht: Ein Knabe stand ich von Hugo von Hofmannsthal

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Knabe stand ich“ von Hugo von Hofmannsthal ist eine melancholische Rückschau auf die eigene Jugend und die damit verbundenen, intensiven Gefühle und Sehnsüchte. Es beginnt mit der Beschreibung eines jungen Mannes im Frühling, voller Hoffnung und dem Wunsch, in die Unendlichkeit aufzusteigen. Die ersten vier Verse zeichnen ein Bild von Aufbruch, von grenzenlosem Sehnen und einer Ahnung von etwas Großem, das den jungen Mann durchströmt. Der „ahnungsvolle Schwall“ deutet auf eine noch unklare, aber doch spürbare Sehnsucht hin, die das gesamte Wesen des Knaben erfasst.

In den folgenden Strophen werden die „Wanderzeiten“ beschrieben, in denen die Welt in strahlendem Glanz erscheint. Bilder von „Rosen“ und „Glocken“ vermitteln eine Atmosphäre von Freude und Schönheit. Die Lebendigkeit aller Dinge und die Nähe zum liebenden „Erfassen“ wecken ein Gefühl von Ekstase und Verbundenheit mit dem großen Lebenskreislauf. Der Knabe fühlt sich als lebendiger Teil eines Ganzen, was ein starkes Gefühl der Zugehörigkeit und des Glücks auslöst. Der „Liebesstrom“, der alle Herzen nährt, wird vom Knaben gefühlt und als Quelle des Genügens empfunden, wodurch sich sein „Ich“ erweitert.

Die letzte Zeile des Gedichts offenbart die melancholische Note: „das heute kaum mir noch den Traum verklärt“. Hier wird der Kontrast zwischen der intensiven Erfahrung der Jugend und der nüchternen Betrachtung des Erwachsenenlebens deutlich. Das „Genügen“, das einst das „Ich“ erweiterte, erscheint heute nur noch als ein verschwommener Traum. Die Erinnerung an die jugendliche Begeisterung und das Gefühl der Verbundenheit mit der Welt sind verblasst, was ein Gefühl der Enttäuschung und des Verlusts impliziert.

Hofmannsthal thematisiert somit die Vergänglichkeit des Lebens und die Veränderung der menschlichen Empfindung im Laufe der Zeit. Das Gedicht ist eine Reflexion über die Verlorenheit der ungestümen Jugend, die Sehnsüchte, Träume und die ungetrübte Freude, die mit dem Erwachsenwerden weichen. Durch die Rückbesinnung auf diese vergangene, intensive Erfahrung wird die Diskrepanz zwischen dem jugendlichen Ideal und der gegenwärtigen Realität spürbar gemacht, wodurch das Gedicht eine tiefe Melancholie erzeugt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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