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Die Wiese der Lust

Von

Über die weite Wiese der Lust
Wandelt zaghaft mein bester Freund.
Was ich Gutes von Ihm gewußt,
Vergaß ich, als ich ihn da sah.

Über der weiten Wiese der Lust
Schwebt ein häßliches Ungethüm.
Was ich greifbar an dem erkannt,
Verschwamm mir, als ich ihn da sah.

Auf jene weite Wiese der Lust
Lauf′ ich plötzlich dem Freunde nach.
Was Er Gutes von Mir gewußt,
Vergaß Er, als Er Mich da sah.

Auf jener weiten Wiese der Lust
Läuft ein Freund mit dem Andern fort.
Wer die Freundschaft in uns erkannt,
Bestritt, daß er den Kern da sah.

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Gedicht: Die Wiese der Lust von Paul Scheerbart

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Wiese der Lust“ von Paul Scheerbart ist eine vielschichtige Reflexion über die Natur der Freundschaft, die Macht der Verlockung und die Vergänglichkeit von Erinnerungen und Erkenntnissen. Es ist durchzogen von einer melancholischen Grundstimmung, die durch die sich wiederholende Struktur und die allmähliche Veränderung der Perspektive verstärkt wird. Der Titel selbst, „Die Wiese der Lust“, deutet auf einen Ort der Versuchung und des Reizes hin, der jedoch auch Gefahren birgt.

In der ersten Strophe wird der Freund des Sprechers als „zaghaft“ auf der Wiese beschrieben. Dieser Begriff deutet auf eine gewisse Unsicherheit und Verletzlichkeit hin. Die anfängliche positive Erinnerung an den Freund, „Was ich Gutes von Ihm gewußt“, wird durch die Erfahrung auf der Wiese jedoch ausgelöscht. Die Anwesenheit des Freundes auf der Wiese reicht aus, um die positiven Erinnerungen zu überlagern, was die transformative und potenziell destruktive Kraft der Lust unterstreicht. Die zweite Strophe führt ein „häßliches Ungethüm“ ein, das über der Wiese schwebt. Diese Figur könnte als eine Manifestation der dunklen Seite der Lust interpretiert werden, die das Gute verdunkelt. Auch hier wird das Erkannte, die positiven Aspekte der Freundschaft, durch die Erfahrung der Wiese unkenntlich gemacht.

Die dritte Strophe markiert einen Wendepunkt, in dem der Sprecher selbst in das Geschehen eintritt. Die Rollen vertauschen sich, und der Sprecher rennt nun seinem Freund nach. Dies deutet auf eine Art von Anziehungskraft oder Sogwirkung der Wiese hin, die dazu führt, dass sich die Charaktere in einem Strudel der Begierde und des Vergessens verfangen. Der Verlust der positiven Erinnerungen und die Auflösung der Freundschaft sind nun beidseitig gegeben. Die vierte Strophe kulminiert in einem Bild, in dem „ein Freund mit dem Andern fortläuft“. Die Freundschaft, die einst bestand, scheint sich in der Lust aufzulösen.

Die letzten beiden Zeilen der vierten Strophe, „Wer die Freundschaft in uns erkannt, / Bestritt, daß er den Kern da sah.“, sind von besonderer Bedeutung. Sie suggerieren, dass die wahre Natur der Freundschaft, ihre Essenz, in dieser Umgebung der Lust und des Vergessens nicht erkannt oder vielleicht sogar verleugnet wird. Das Gedicht hinterlässt den Leser mit einer tiefen Melancholie und einem Gefühl des Verlustes, da die Freundschaft dem Sog der Lust nicht widerstehen kann. Scheerbart wirft hier Fragen nach der Beständigkeit von Beziehungen und der Wirkung von Versuchungen auf, die sich in einem eindrucksvollen und nachdenklichen Gedicht manifestieren.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.