Es war mal eine Henne fein,
Die legte fleißig Eier;
Und pflegte denn ganz ungemein Wenn sie ein Ei gelegt zu schrein,
Als wär im Hause Feuer.
Ein alter Truthahn in dem Stall,
Der Fait vom Denken machte,
Ward bös darob, und Knall und Fall Trat er zur Henn und sagte:
„Das Schrein, Frau Nachbarin, war eben nicht vonnöten;
Und weil es doch zum Ei nichts tut,
So legt das Ei, und damit gut!
Hört, seid darum gebeten!
Ihr wisset nicht, wie′s durch den Kopf mir geht.“
„Hm!“ sprach die Nachbarin, und tät
Mit einem Fuß vortreten,
„Ihr wißt wohl schön, was heuer
Die Mode mit sich bringt, Ihr ungezognes Vieh!
Erst leg ich meine Eier,
Denn rezensier ich sie“
Die Henne
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Henne“ von Matthias Claudius ist eine humorvolle und satirische Auseinandersetzung mit der Eitelkeit und dem Anspruchsdenken, die oft in der menschlichen Natur zu finden sind. Das Gedicht bedient sich der Form einer Fabel, wobei Tiere menschliche Eigenschaften verkörpern, um auf spielerische Weise Kritik zu üben. Der Autor wählt eine Henne als Protagonistin, deren Verhalten Anlass zur Belustigung und Reflexion gibt.
Die Henne, die fleißig Eier legt, entwickelt eine übertriebene Reaktion auf ihre eigene Leistung. Sie schreit, als wäre „im Hause Feuer“, was ihre übermäßige Selbstbezogenheit und das Bedürfnis nach Aufmerksamkeit unterstreicht. Der alte Truthahn, der als Repräsentant der Vernunft und des Pragmatismus fungiert, kritisiert dieses Verhalten und appelliert an die Henne, ihre unnötige Zurschaustellung zu unterlassen. Seine Worte sind geprägt von einer gewissen Resignation angesichts der übertriebenen Reaktion der Henne.
Die Reaktion der Henne auf die Kritik des Truthahns ist bezeichnend für die Kernaussage des Gedichts. Sie kontert mit einer Mischung aus Arroganz und Zeitgeistbezug. Indem sie sich auf die „Mode“ beruft und ankündigt, ihre Eier zu „rezensieren“, stellt sie ihr eigenes Handeln in den Mittelpunkt und entlarvt die Absurdität ihrer Selbstdarstellung. Diese Aussage ist eine klare Anspielung auf das kulturelle Umfeld, in dem auch Leistungen bewertet und beworben werden müssen, um Beachtung zu finden.
Claudius‘ Gedicht ist eine treffende Satire auf die menschliche Eitelkeit und das Verlangen nach Anerkennung. Durch die humorvolle Darstellung der Tiere und ihre Dialoge gelingt es ihm, auf subtile Weise Kritik an übertriebenem Selbstbewusstsein und dem Drang nach Bestätigung auszuüben. Die „Rezension“ der Eier kann als Metapher für die übermäßige Bewertung und Selbstdarstellung in der modernen Gesellschaft verstanden werden, wo selbst scheinbar alltägliche Handlungen einer kritischen Betrachtung unterzogen werden. Das Gedicht regt dazu an, über die eigenen Verhaltensweisen und die Bedeutung von Bescheidenheit nachzudenken.
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