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Die Geschichte vom wilden Jäger

Von

Es zog der wilde Jägersmann
sein grasgrün neues Röcklein an;
nahm Ranzen, Pulverhorn und Flint
und lief hinaus ins Feld geschwind.
Er trug die Brille auf der Nas’
und wollte schießen tot den Has.
Das Häschen sitzt im Blätterhaus
und lacht den wilden Jäger aus.
Jetzt schien die Sonne gar zu sehr,
da ward ihm sein Gewehr zu schwer.
Er legte sich ins grüne Gras;
das alles sah der kleine Has.
Und als der Jäger schnarcht und schlief,
der Has ganz heimlich zu ihm lief
und nahm die Flint und auch die Brill
und schlich davon ganz leis und still.

Die Brille hat das Häschen jetzt
sich selbst auf seine Nas gesetzt;
und schießen will’s aus dem Gewehr.
Der Jäger aber fürcht sich sehr.
Er läft davon und springt und schreit:
»Zu Hilf, ihr Leut, zu Hilf, ihr Leut!«

Da kommt der wilde Jägersmann
zuletzt beim tiefen Brünnchen an.
Er springt hinein. Die Not war groß;
es schießt der Has die Flinte los.
Des Jägers Frau am Fenster saß
und trank aus ihrer Kaffeetaß.
Die schoß das Häschen ganz entzwei;
da rief die Frau: »O wei! O wei!«
Doch bei dem Brünnchen heimlich saß
des Häschens Kind, der kleine Has.
Der hockte das im grünen Gras;
dem floß der Kaffee auf die Nas.
Er schrie: »Wer hat mich da verbrannt?«
und hielt den Löffel in der Hand.

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Gedicht: Die Geschichte vom wilden Jäger von Heinrich Hoffmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Geschichte vom wilden Jäger“ von Heinrich Hoffmann ist eine humorvolle und subversive Erzählung, die die konventionellen Rollen von Jäger und Gejagtem umkehrt und eine überraschende Wendung in der Geschichte der Jagd vornimmt. Es beginnt mit dem stolzen Jäger, der sich mit seiner Ausrüstung ausstattet, um einen Hasen zu erlegen. Die anfängliche Beschreibung des Jägers ist noch neutral, doch die Szene wird bald durch die Perspektive des Hasen untergraben, der den Jäger auslacht, was bereits eine Umkehrung der erwarteten Dynamik darstellt.

Der Wendepunkt des Gedichts liegt in der Überlistung des Jägers durch den Hasen. Während der Jäger aufgrund der Hitze und Erschöpfung einschläft, nutzt der Hase die Gelegenheit, die Waffen des Jägers zu stehlen und sich dessen Brille aufzusetzen. Diese Handlung ist nicht nur komisch, sondern symbolisiert auch die Übernahme der Macht und die Umkehrung der Hierarchie zwischen Jäger und Beute. Der Jäger wird zum Gejagten, was zu einer Panik führt, die ihn in einen Brunnen treibt.

Die anschließende Eskalation der Ereignisse ist ebenso unerwartet wie grotesk. Der Hase schießt mit der Waffe des Jägers, wodurch eine Frau getötet wird, die gerade Kaffee trinkt. Diese Szene ist ein Beispiel für Hoffmanns makabre Art des Humors, der die Grenzen des Kindlichen auslotet. Die unerwartete Wendung in der Geschichte und die Gewaltdarstellung stellen eine ironische Kritik an den traditionellen Jagdmotiven dar, indem sie die Konsequenzen des Jagens in den Vordergrund rücken.

Das Gedicht endet mit einer weiteren komischen Pointe: Der Kaffee, der durch den Schuss verschüttet wurde, landet auf der Nase des jungen Hasen, der nun ebenfalls Schaden erleidet. Diese letzte Szene unterstreicht die Absurdität der Ereignisse und die universelle Natur des Leidens, unabhängig von der beteiligten Partei. Durch diese überraschenden Wendungen und den makabren Humor entlarvt Hoffmann die Grausamkeit und Unvorhersehbarkeit des Lebens und der Jagd.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.