Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , ,

Die feindliche Erde

Von

Der Eiter der Erde lag in den Häusern. Unter hellen Lichtern saßen schmatzende Jobber.

In Nebenzimmern ragten gelangweilt lange schwarze Strümpfe, trägzuckende Schenkel über schwere geile Rücken.

Hintern tanzten vor polierten Klavieren, dunkle Langhaare geigten.

Kluge hielten in seidnen Salons Vorträge, daß alles auf Erden immer gleich bleibe.

Weiche Bartlose sprachen unter sich von dem Ekel am Weibe.

In steinernen Museen schritten sanft die ausgeschlafenen Kenner.

In heißen Redaktionen schrieb man die Lebensläufe berühmter Männer.

Die Zimmer der Stadt wölbten sich wie ein ungeheurer fetter Bauch, die Dachkuppeln lagen krumm strähnig über der breiten flachen Stirne.

Hinter den Fenstern saßen schnaufend träge Menschen steil wie dicke Riesenfinger.

Die Häuser glotzten wie die Freßzähne an einem ungeheuren, gähnenden Jahrmarkts-Ringer.

Die Erde faulte länglich auf zur wimmelnden himmlischen Birne.

Der Himmel rollte herum dunkel funkelnd im schwarzen hohlen Oval.

Das Licht war eingesogen in stampfende Kessel und Telegraphenstrahl.

Der Lampenschein strich klein durch die Straßen wie Wurmaugen nachts im Korn.

Das Licht war fort von der kleinen Erde, niemand saß in der Sonne oder blickte zum mondlichen Horn.

Die Trägheit schlug an die Ufer, faulende Riesenalgen wanden sich erdenrund um die Schimmelgrüne.

Drunten im Trüben schrieben wimmelnde Menschen noch eilige servile Telegramme, Briefe, Denunziationen voll Ranküne.

Tänzerinnen, Barone, Agenten, Geheimräte, Schutzleute, Ehefrauen, Studenten, Hauswirte freuten sich auf ihre dampfende Nacht.

Aber der arme Mob schaute das Wunder und war zur neuen Zeit aufgewacht.

Die böse gestörte Wut zitterte über die verregneten Telegraphenstangen,

Als die mürben Armen ohne Essen und Trinken zum göttlichen Himmel marschierten, wurden sie mit hartreißenden Flintenkugeln empfangen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die feindliche Erde von Ludwig Rubiner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die feindliche Erde“ von Ludwig Rubiner ist eine düstere und apokalyptische Vision des urbanen Lebens und der gesellschaftlichen Zustände kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Es zeichnet ein Bild der Dekadenz, des Verfalls und der Unterdrückung, in dem die Menschheit in Trägheit, Gier und Zynismus erstarrt ist, während die Zeichen des kommenden Unheils allgegenwärtig sind.

Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung einer kranken, „eiternden“ Erde, die sich in den Häusern widerspiegelt, wo „schmatzende Jobber“ und „langweilig lange schwarze Strümpfe“ das Bild der moralischen Verkommenheit zeichnen. Der Kontrast zwischen dem Schein der Helligkeit und der Fäulnis, der zwischen den dekadenten Aktivitäten der Reichen und der Trägheit der Massen, verstärkt die negative Stimmung. Es offenbart eine Gesellschaft, die sich in ihrem eigenen Überfluss und ihrer Oberflächlichkeit verliert, während die grundlegenden menschlichen Werte und Ideale verloren gehen. Die Sinnlosigkeit des Lebens wird durch die Erwähnung von Langeweile, Ekel und der Ignoranz gegenüber der Welt um sie herum betont.

Die Metaphern von „fetten Bäuchen“, „Riesenfingern“ und dem „gähnenden Jahrmarkts-Ringer“ verstärken das Gefühl der Enge und des beklemmenden Überblicks, die die Stadt beherrscht. Das Licht, das normalerweise Hoffnung und Erleuchtung symbolisiert, wird hier „eingesogen“ und in „stampfende Kessel“ verwandelt, was auf die Entmenschlichung und die Zerstörung der natürlichen Ordnung hindeutet. Der Himmel, der traditionell für das Göttliche und die Freiheit steht, wird zu einem „schwarzen hohlen Oval“, das die Hoffnungslosigkeit und die Isolation der Menschen widerspiegelt.

Die zweite Hälfte des Gedichts führt eine mögliche Veränderung ein, indem sie die „armen Mob“ zeigt, die „aufgewacht“ sind und das „Wunder“ sehen. Diese Andeutung einer möglichen Revolte oder eines Aufbruchs wird jedoch abrupt durch die gewaltsame Unterdrückung dieser Bewegung zerstört. Der Kontrast zwischen der „bösen gestörten Wut“ und den „hartreißenden Flintenkugeln“ verdeutlicht die brutale Realität der Unterdrückung und das Scheitern jeglicher Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Das Gedicht endet mit einer tiefen Verzweiflung, in der die Hoffnung auf Erlösung durch Gewalt ausgelöscht wird.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.