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Die Erfindung

Von

Als ich zum ersten Male diesen Narren
Mein neues Totenwäglein vorgeführt,
War alle Welt im Leichenhaus gerührt
Von ihren Selbstportraits und anderen Schmarren.

Sie sagten mir: nun wohl, das sei ein Karren,
Jedoch die Räder seien nicht geschmiert,
Auch sei es innen nicht genug verziert
Und schließlich wollten sie mich selbst verscharren.

Sie haben von der Sache nichts begriffen,
Als daß es wurmig zugeht im Geliege
Und wenn ich mich vor Lachen jetzt noch biege,

So ist es, weil sie drum herum gestanden,
Die Pfeife rauchten und den Mut nicht fanden,
Hineinzusteigen in die schwarze Wiege.

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Gedicht: Die Erfindung von Hugo Ball

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Erfindung“ von Hugo Ball ist eine bissige Satire auf die Reaktionen des Publikums auf eine neue Kunstform, möglicherweise Dadaismus, der Ball selbst maßgeblich vertrat. Der Dichter präsentiert hier sein „neues Totenwäglein“, ein Symbol für die Kunst selbst, das auf Ablehnung, Missverständnis und letztlich Ignoranz stößt. Das Gedicht ist in Form eines Sonetts verfasst, wodurch die strenge Form einen Kontrast zu dem rebellischen Inhalt bildet und die Botschaft verstärkt.

Die Reaktionen der „Welt“ (des Publikums) werden in den ersten acht Versen dargestellt. Sie sehen in dem „Tottenwäglein“ nur einen Karren, der nicht funktioniert, nicht schön genug ist und am liebsten den Erfinder selbst bestatten würden. Dies verdeutlicht die Unfähigkeit des Publikums, die neue Kunst zu verstehen und zu würdigen. Die Kritik ist oberflächlich, konzentriert sich auf Äußerlichkeiten („Räder nicht geschmiert“, „innen nicht genug verziert“) und zeigt eine völlige Abwesenheit von Einsicht in die eigentliche Bedeutung der Kunst. Der Begriff „Schmarren“ deutet zudem auf die abfällige Haltung des Dichters gegenüber dem, was das Publikum als Kunst betrachtet, hin.

In den letzten sechs Versen enthüllt Ball die eigentliche Ursache für das Missverständnis: Das Publikum hat die „Sache“ (die Kunst) nicht begriffen, weil es zu „wurmig“ ist, also in seinen vorgefassten Meinungen gefangen. Der Dichter amüsiert sich über diese Ignoranz, was durch das „Lachen“ zum Ausdruck kommt. Die „schwarze Wiege“ ist das Kunstwerk, das die Betrachter nicht betreten wollen, weil sie den Mut und die Offenheit fehlen, sich auf das Neue einzulassen. Die „Pfeife rauchend“ und „den Mut nicht findend“ unterstreichen die passive Haltung des Publikums und dessen Unwillen, sich mit der Kunst auseinanderzusetzen.

Hugo Ball verwendet in diesem Gedicht eine Mischung aus Ironie, Sarkasmus und Selbstironie, um die Kluft zwischen Künstler und Publikum zu thematisieren. Der Titel „Die Erfindung“ bezieht sich vermutlich auf die Dada-Bewegung selbst, die Ball mitbegründete, und deren radikal neue Kunstauffassung. Das Gedicht ist somit ein Manifest, das die Ablehnung und das Unverständnis des Publikums beklagt, aber gleichzeitig die Überzeugung des Künstlers von der Richtigkeit seiner eigenen künstlerischen Vision bekräftigt. Es ist ein Kommentar zur Natur der Kunst und zur Herausforderung, die sie für die Gesellschaft darstellt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.