Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , ,

Die Ehekämpen (6)

Von

»Zu leben und zu sterben am reichsten Glücke arm!«
Es füllt Jolanthens Seele dies Wort mit stillem Harm,
Es tönet in ihr weiter, wie eine Harfe bebet
Noch lange, wenn schon ferne die Hand, die sie belebet.

Sie steht am Bogenfenster, sieht in die stille Nacht:
Im Mondenstrahl erglänzet der Alpen hohe Wacht,
Der Mondenstrahl umwebet den See mit goldnen Säumen,
Er lockt das arme Herze zum Sehnen und zum Träumen.

Und leise, leise ziehet, wie ferner Geisterklang,
Jetzt durch des Schlosses Hallen gar lieblicher Gesang:
Frau Bertha auf den Knieen vor einem Bettlein lieget,
In Schlaf und süße Ruhe ihr holdes Kindchen wieget.

Jolanthe, o Jolanthe, sieh′ nicht auf dieses Glück,
Und vor der Welt da draußen verschließe deinen Blick!
Dir kann in Klostermauern nicht die Erinn′rung frommen,
Wie selig eine Mutter und die Natur vollkommen. –

Sie hat kein Schloß und Erbe, allein, verwaist stand sie,
Kaum kannte sie den Vater und Mutterliebe nie, –
Die fromme Braut des Himmels, will sie den Schleier nehmen,
Sie konnt′ es bis zur Stunde noch ohne Schmerz und Grämen.

Doch ach! mit einem Male scheint ihr die Welt so hold,
Der Freundin Muttername erwärmt wie Sonnengold
Der Jungfrau reines Herze – soll sie die nie erwerben,
Soll arm am reichsten Glücke sie leben so und sterben?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Ehekämpen (6) von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Ehekämpen (6)“ von Luise Büchner erkundet die innere Zerrissenheit einer jungen Frau namens Jolanthe, die zwischen dem Wunsch nach weltlichem Glück und der Hingabe an ein klösterliches Leben steht. Der Titel deutet auf einen Kampf hin, der sich nicht auf physische Auseinandersetzungen beschränkt, sondern in Jolanthes Seele abspielt. Das eröffnende Zitat, „Zu leben und zu sterben am reichsten Glücke arm!“, gibt den Ton des Gedichts vor und offenbart das zentrale Dilemma: die Erfahrung des Mangels inmitten des scheinbaren Überflusses an Glück.

In den ersten beiden Strophen wird Jolanthes innere Unruhe durch äußere Bilder verstärkt. Sie steht am Fenster und betrachtet die friedliche Nacht, die von Mondlicht erhellt wird. Die Natur, symbolisiert durch die Alpen und den See, scheint sie zu verlocken und zum Träumen anzuregen. Diese Szene steht im Kontrast zur stillen Sehnsucht, die in Jolanthes Seele widerhallt. Der „Harm“ und das „Sehnen“ deuten auf eine tiefe Sehnsucht nach etwas hin, das ihr verwehrt bleibt. Die Beschreibung der Natur und des Mondlichts verstärkt die romantische Stimmung und unterstreicht die Intensität von Jolanthes Gefühlen und Wünschen.

Die dritte Strophe führt ein konkretes Beispiel für das Glück ein, das Jolanthe versagt bleibt: die Szene einer Mutter, die ihr Kind in den Schlaf wiegt. Dieses Bild steht im krassen Gegensatz zu Jolanthes Situation als „verwaiste“ Frau, die weder die Liebe einer Mutter noch ein eigenes Kind erlebt hat. Der Kontrast wird noch deutlicher durch den lieblichen Gesang, der durch die Hallen des Schlosses erklingt. Diese Szene verdeutlicht die Ambivalenz von Jolanthes Gefühlen und ihren Wunsch, an diesem Familienglück teilzuhaben.

Die letzten beiden Strophen vertiefen das Dilemma. Jolanthe wird ermahnt, nicht auf das Glück anderer zu blicken und sich vor der Welt zu verschließen. Die Erinnerung an die Liebe einer Mutter darf nicht in den Klostermauern ihr Glück stören, was darauf hindeutet, dass sie die Entscheidung für das Kloster noch nicht endgültig getroffen hat. Als Waise, ohne Elternliebe oder einen eigenen Erben, erscheint der Gang ins Kloster als einzig möglicher Weg. Doch die plötzliche Erkenntnis, wie hold die Welt sein kann, und die Erwärmung des Herzens durch den Namen einer Freundin, offenbaren den Konflikt. Die Frage, ob sie jemals dieses Glück erlangen wird, verstärkt die Tragik und die innere Zerrissenheit Jolanthes, die in der Ungewissheit verharrt, ob sie arm am reichsten Glück leben und sterben soll.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.