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Die Ehekämpen (3)

Von

Unwegsame, rauhe Pfade mußte nun Herr Corsant zieh′n,
Die Gigantenwelt der Alpen thürmt sich furchtbar um ihn hin,
Wo der alte Bergesriese geisterhaft das weiße Haupt
Kühn und trotzig bis zur Sonne beinah′ zu erheben glaubt.

Neben ihm mit wildem Donner die Lawine niederkracht,
Brausend wälzet sich der Bergstrom durch den tiefen Felsenschacht,
Gletscher stürzen in die Thäler, die sich winden schmal und eng
Durch die schroffen Bergeswände und der Felsen wild Gedräng.

Tagelang zieh′n so sie weiter, seh′n von Menschen keine Spur,
Ganz allein im weiten Umkreis dieser mächtigen Natur,
Ganz allein auf Bergeshöhen, wo das Echo einzig spricht,
Und der Pfiff des Murmelthieres nur das Schweigen unterbricht.

Oft den nächsten Schritt verdeckend schwarz der Nebel sie umwallt,
Zu dem Abgrund lockt der Schwindel mit dämonischer Gewalt,
Trügerisch entweicht dem Fuße oft der Stein, auf dem er ruht –
Tausend Schrecken schickt die Wildniß ihrem Feind, der Menschenbrut.

Ei, Herr Corsant, einst so muthig mit dem Schwert und dem Pokal,
Hier zu überwinden gilt es auch Gefahren ohne Zahl,
Und das Naß, das lohnt dem Sieger, ist kein rother Feuerwein,
Der Krystall nur ist′s der Quelle, sprudelnd aus dem Felsgestein.

Doch so keck, wie beim Gefechte, zieht er seinen Weg zumal,
Bald hinauf die steile Höhe, bald hinunter in das Thal,
Und wie liebt er bald die Reise, mehr als jede träge Ruh′ –
Tausend ungekannte Freuden, Wildniß, schenkst dem Menschen du,

Der sich furchtlos deinem Herzen, deiner stolzen Schönheit naht.
Wie beredtsam ist dein Schweigen, wie entzückt dein wilder Pfad!
Eben bebte noch die Seele grauserfüllt vor dir zurück,
Und zum schönsten Bilde führest du im nächsten Augenblick.

Plötzlich tritt der Fuß auf Matten, mit Genzianen blau gestickt,
Eben sproßte noch kein Gräslein, jetzt die Alpenrose nick
An den steilen Bergeswänden, die umgrenzen eng und schmal,
Eingefaßt von dunkeln Tannen, ein glückselig Alpenthal.

Buntgefleckte Kühe weiden würz′ge Kräuter voll von Duft,
Leise tönen ihre Glocken durch die frische, reine Luft,
Und des Sennen braune Hütte öffnet schon ihr Pförtchen weit,
Einen Wandrer zu empfangen, zu bewirthen gleich bereit.

Ew′ger Friede scheint zu wohnen in dem engen, stillen Thal,
Jede Sehnsucht scheint gestillet, überwunden jede Qual.
Ach! wie liegt die Welt so ferne, ihr Geräusch, ihr Kampf und Streit!
Selig ist′s, sie zu entbehren in so holder Einsamkeit.

Und Herr Corsant springt vom Pferde, wirft sich auf den Rasen hin,
Fühlte nie so tief beweget sich in seinem spröden Sinn,
Alles möchte er vergessen, was ihn stürmisch sonst bewegt,
Nimmer mehr dies Thal verlassen, das den Frieden in sich trägt.

Rund um ihn in duft′ger Ferne ragt der Alpen Majestät,
Sie die Einz′gen auf der Erde völlig wandellos und stät,
Alles folgt des Wechsels Zuge, sie steh′n ewig weiß und rein, –
Sollen sie ein Bild des Todes, oder treuster Dauer sein?

Treuer als der Menschen Herzen, treuer als des Lebens Glück,
Strahlen seit dem Schöpfungstage sie der Sonne Gluth zurück,
Und wie jetzt sie rosig stehen, angehaucht von ihrem Kuß,
Sich Herr Corsant eine Thräne von der Wimper trocknen muß.

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Gedicht: Die Ehekämpen (3) von Luise Büchner

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Ehekämpen (3)“ von Luise Büchner beschreibt eine Reise durch die Alpen, die sowohl als äußere Wanderung als auch als innere Auseinandersetzung des Protagonisten, Herrn Corsant, gelesen werden kann. Es beginnt mit einer Schilderung der unwirtlichen Umgebung, der rauen Pfade und der furchteinflößenden Natur. Die Autorin zeichnet ein Bild der alpinen Welt, die von Giganten, Lawinen, Bergströmen und Nebel geprägt ist. Diese Naturgewalten fordern Herrn Corsant heraus und konfrontieren ihn mit Gefahren, die ihn an seine Grenzen bringen.

Im Verlauf der Reise erfährt Herr Corsant eine Veränderung. Die anfängliche Furcht und der Schrecken weichen einer wachsenden Bewunderung für die Schönheit der Natur. Das Gedicht thematisiert die Faszination, die von der Wildnis ausgeht, und wie sie den Wanderer sowohl erschrecken als auch begeistern kann. Die Autorin beschreibt den Kontrast zwischen den entbehrungsreichen Passagen und den Momenten des Friedens und der Schönheit, die in den Bergen zu finden sind. Besonders der Übergang in das idyllische Alpenthal, mit seinen blühenden Wiesen, Kühen und der friedlichen Hütte, symbolisiert einen Wendepunkt in der Erfahrung des Protagonisten.

Das Gedicht kann als Metapher für die Suche nach innerem Frieden und die Überwindung von Herausforderungen verstanden werden. Herr Corsant, der zuvor im Kampf und im weltlichen Leben aktiv war, findet in der Stille der Berge eine neue Perspektive. Die Alpen werden zu einem Spiegelbild seiner eigenen Seele, in dem er sowohl die Stürme als auch die Ruhe findet. Die Frage nach der Bedeutung der Alpen, ob sie ein Bild des Todes oder der ewigen Dauer darstellen, spiegelt die tiefe Ambivalenz wider, die das Gedicht durchzieht.

Die abschließenden Strophen verdeutlichen die tiefe emotionale Wirkung, die die Reise auf Herrn Corsant hat. Er scheint die Welt und ihre Konflikte vergessen zu wollen und sehnt sich nach dem Frieden des Tals. Die Träne, die er vergießt, symbolisiert die tiefe Rührung und die Erkenntnis, dass die Natur eine Quelle der Erneuerung und des Trostes sein kann. Das Gedicht endet mit einer Hommage an die Beständigkeit der Alpen, die als ewige Zeugen der Zeit und der Natur dienen.

Insgesamt ist „Die Ehekämpen (3)“ ein vielschichtiges Gedicht, das die Schönheit und die Herausforderungen der Natur, die innere Entwicklung des Menschen und die Suche nach Frieden thematisiert. Büchner verbindet die äußere Reise durch die Alpen mit einer inneren Reise, die den Protagonisten dazu bringt, seine Perspektive auf das Leben zu verändern und neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.