Die Diebe
Da war einmal ein kleiner Dieb,
Der stahl ein Brod dem Kind zulieb,
Und wurde schier gefangen,
Und konnte erst in Jahr und Stund,
Trotz sein und seines Weibes Mund,
Die Freiheit wieder erlangen.
Dem Andern war’s Glück auch nicht hold:
Stahl einem Filz ’nen Sack mit Gold
Durch Einbruch still und nächtens;
Und eh‘ noch ein halb Jahr verging,
Er am Gevatter Dreibein hing,
Und das von wegen Rechtens.
Der Dritte war ein großer Dieb,
Der stahl sich ganz allein zulieb
Der Menschen Ehr‘ und Rechte,
Und Städt‘ und Länder obendrein:
Dem thäten sie Ruhmesopfer weih’n,
Und dienten ihm wie Knechte.
Nun weiß ich doch wahrhaftig nicht,
Wie solch ein dummes Ding geschicht,
Und müßte doch vermeinen,
Daß, wenn euch Gott das Urtheil lenkt‘,
Der dritte Dieb viel höher hängt,
Als wie die beiden kleinen!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Diebe“ von Adolf Glaßbrenner ist eine satirische Betrachtung über soziale Ungerechtigkeit und die unterschiedliche Behandlung von Dieben, je nach ihrem Umfang und ihrer Macht. Das Gedicht beginnt mit der Beschreibung eines kleinen Diebes, der ein Brot stiehlt, um ein Kind zu ernähren, und dafür hart bestraft wird. Dies steht im Kontrast zu den nachfolgenden Beispielen von Diebstählen größeren Ausmaßes.
Der zweite Dieb stiehlt Gold, was mit dem Tod durch den Galgen endet. Hier wird bereits die Ungleichbehandlung durch das Rechtssystem angedeutet, da der Diebstahl selbstverständlich geahndet wird. Der dritte Dieb ist jedoch von ganz anderem Kaliber. Dieser stiehlt nicht nur materielle Güter, sondern auch die Ehre und Rechte der Menschen, ganze Städte und Länder. Statt bestraft zu werden, wird er mit Ruhm gefeiert und von den Menschen wie ein Gott verehrt und bedient. Diese Ungleichheit und Verkehrung der Werte ist das zentrale Thema des Gedichts.
Glaßbrenner stellt in den letzten Strophen eine rhetorische Frage und drückt seine Verwunderung über diese soziale Ungerechtigkeit aus. Er fordert, dass der große Dieb, der die Gesellschaft als Ganzes ausbeutet, die härteste Strafe verdient, während die kleinen Diebe, die aus Not handeln, eine mildere Behandlung erfahren sollten. Der Autor zeigt hier deutlich seine Kritik an einem Rechtssystem und einer Gesellschaft, die Werte verkehrt und die wahren Kriminellen belohnt, während die Kleinen bestraft werden.
Die Sprache ist einfach und direkt, was die satirische Wirkung des Gedichts verstärkt. Glaßbrenner benutzt eine klare, verständliche Sprache, um seine Kritik zu formulieren und dem Leser die Ungerechtigkeit vor Augen zu führen. Das Gedicht ist ein deutliches Plädoyer für Gerechtigkeit und eine Abrechnung mit einer Gesellschaft, die Werte, wie Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit, mit Füßen tritt. Es ist ein Appell für eine Welt, in der die wahre Größe eines Diebes nicht durch die Menge des Gestohlenen, sondern durch die Auswirkungen seiner Taten bewertet wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.