Die Anfahrt
War in des Wagens Wendung dieser Schwung?
War er im Blick, mit dem man die barocken
Engelfiguren, die bei blauen Glocken
im Felde standen voll Erinnerung,
annahm und hielt und wieder ließ, bevor
der Schloßpark schließend um die Fahrt sich drängte,
an die er streifte, die er überhängte
und plötzlich freigab: denn da war das Tor,
das nun, als hätte es sie angerufen,
die lange Front zu einer Schwenkung zwang,
nach der sie stand. Aufglänzend ging ein Gleiten
die Glastür abwärts; und ein Windhund drang
aus ihrem Aufgehn, seine nahen Seiten
heruntertragend von den flachen Stufen.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Anfahrt“ von Rainer Maria Rilke beschreibt auf subtile Weise den Moment der Ankunft an einem Ort, der durch seine barocke Ästhetik und die Anwesenheit eines Schlosses angedeutet wird. Es ist weniger eine reine Beschreibung des äußeren Geschehens, sondern mehr eine poetische Erfassung der Eindrücke und Empfindungen, die mit diesem Ankommen einhergehen. Die Sprache ist reich an Bildern und Metaphern, die ein Gefühl von Bewegung, Übergang und schließlich der Erfahrung des neuen Ortes vermitteln.
Der erste Teil des Gedichts ist geprägt von Bewegung und der Frage nach der Ursache dieser Bewegung: „War in des Wagens Wendung dieser Schwung?“ Rilke untersucht die Dynamik der Ankunft und verweilt bei den Details, die das Auge des Betrachters erfassen. Die „barocken Engelfiguren“, die „bei blauen Glocken im Felde standen“, wecken Erinnerungen und Emotionen. Die Beschreibung des Blicks, der diese Szenerie „annahm und hielt und wieder ließ“, deutet auf eine flüchtige, aber intensive Erfahrung hin, die der Dichter erlebt. Die Bewegung des Wagens, das Streifen und Überhängen des Schlossparks, der sich „schließend um die Fahrt“ drängt, wird durch die Worte des Dichters fast greifbar gemacht. Der Übergang zum Tor, das als Ziel der Reise fungiert, markiert einen entscheidenden Moment.
Das Aufgehen des Tores, „als hätte es sie angerufen“, signalisiert den Eintritt in einen neuen Raum. Es ist, als ob das Tor die Ankömmlinge magisch anzieht und ihren Weg lenkt. Die „lange Front“ wird durch das Tor zu einer „Schwenkung“ gezwungen, was die Veränderung des Blickwinkels und der Perspektive des Betrachters verdeutlicht. Die „Glastür“ im folgenden Vers repräsentiert den Eintritt in einen weiteren Bereich, der durch das „Aufglänzen“ und das „Gleiten“ eine elegante und fast surreale Atmosphäre schafft.
Der Höhepunkt des Gedichts wird durch die Ankunft eines „Windhund[s]“ markiert, der „aus ihrem Aufgehn“ hervortritt. Der Hund symbolisiert vielleicht die Lebendigkeit und das Leben, das hinter den Mauern des Schlosses verborgen ist. Seine Bewegung, die „seine nahen Seiten heruntertragend von den flachen Stufen“, verstärkt das Gefühl von Bewegung und das Erleben eines neuen Ortes. Insgesamt ist „Die Anfahrt“ ein Gedicht über die Erfahrung des Ankommens, die Wahrnehmung von Raum und Bewegung, und die subtilen Veränderungen, die diese Erfahrung mit sich bringt.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.