Der Tod des Dichters
Er lag. Sein aufgestelltes Antlitz war
bleich und verweigernd in den steilen Kissen,
seitdem die Welt und dieses von ihr Wissen,
von seinen Sinnen abgerissen,
zurückfiel an das teilnahmslose Jahr.
Die, so ihn leben sahen, wußten nicht,
wie sehr er eines war mit allem diesen,
denn dieses: diese Tiefen, diese Wiesen
und diese Wasser waren sein Gesicht.
O sein Gesicht war diese ganze Weite,
die jtzt noch zu ihm will und um ihn wirbt;
und seine Maske, die nun bang verstirbt,
ist zart und offen wie die Innenseite
von einer Frucht, die an der Luft verdirbt.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Tod des Dichters“ von Rainer Maria Rilke thematisiert den Übergang des Dichters vom Leben in den Tod, wobei der Fokus auf der Entfremdung von der Welt und der Transformation des Körpers liegt. Die erste Strophe beschreibt den Dichter im Moment des Todes, sein Gesicht ist bleich und abweisend, losgelöst von der Welt und den Sinneswahrnehmungen. Die Welt und das Wissen von ihr, welches zuvor durch die Sinne erfahrbar war, sind nun abgefallen, zurückgekehrt zum „teilnahmslosen Jahr“. Dieses „Jahr“ steht als Metapher für die unpersönliche, unaufhaltsame Zeit, die sowohl Leben als auch Tod umfasst.
Die zweite Strophe wendet sich an diejenigen, die den Dichter noch lebend kannten. Sie wussten nicht, wie eng er mit der Welt verbunden war. Rilke betont die Einheit des Dichters mit der Natur. Die „Tiefen“, „Wiesen“ und „Wasser“ waren sein „Gesicht“, was impliziert, dass seine innere Welt und sein Wesen untrennbar mit der äußeren Natur verschmolzen waren. Der Dichter spiegelte die Schönheit und Tiefe der Welt wider, er war ein Teil von ihr. Diese Verbundenheit wird in der ersten Hälfte des Gedichts als etwas Lebendiges, Vitales dargestellt, das nun endet.
Die dritte Strophe, die letzte des Gedichts, beschreibt das Gesicht des Dichters im Tod als „ganze Weite“, die weiterhin nach ihm verlangt. Diese Weite repräsentiert die Essenz des Dichters, die in die Welt ausstrahlte und nun, nach dem Tod, vielleicht in einer neuen Form weiterlebt. Die „Maske“, das Gesicht, das nun „bang verstirbt“, wird mit der „Innenseite von einer Frucht“ verglichen, die an der Luft verdirbt. Dieses Bild ist von großer Intensität und suggeriert die Verletzlichkeit und Vergänglichkeit des Körpers, sowie die Auflösung des irdischen Seins.
Die Metaphern und Bilder, die Rilke in diesem Gedicht verwendet, sind von großer Eindringlichkeit und erzeugen eine Atmosphäre der Trauer und des Abschieds, aber auch der Ehrfurcht vor dem Sterben und der Vergänglichkeit. Das Gedicht ist ein Nachruf auf den Dichter, aber auch eine Reflexion über die Verbindung von Mensch und Natur, über Leben und Tod, und die ewige Suche nach der Essenz des Seins. Es unterstreicht die Zartheit des Lebens und die Unvermeidbarkeit des Todes, während es gleichzeitig die bleibende Wirkung des Dichters und seiner Kunst andeutet.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.