Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , ,

Der Steuermann

Von

»Gen Süden gesteuert! Auf, zu den Rah′n,
Matrosen, auf, zu den Reffen!
Die Brigg treibt der Teufel uns auf die Bahn,
Wir konnten′s nicht besser treffen!
Geschwind sie gekapert! Und ist es gethan,
So sei, ich schwör′ es heilig und teuer,
Die Hälfte von dem Erbeuteten euer!«

Der Schiffsherr ruft′s; mit Jubelgeschrei
Begrüßen sein Wort die Matrosen.
»Wohlauf zur lustigen Kaperei!
Weh auf der Brigg den Franzosen!«
Nur der Steuermann Tom trotzt kühn und frei:
»Was? plündern will die verworfene Rotte?
Nie soll das geschehn, beim lebendigen Gotte!«

Die Mannschaft, die es vernahm, erhub
Ein Lachen: »Ha über den Pfaffen!
Geh, Tom, und pred′ge dem Belzebub,
Nicht kümmert dich, was wir schaffen!«
»Auf!« – donnert der Schiffsherr – »kein Verschub!
Werft über Bord mir den Rebellen!«
Und flugs ihn packen die wüt′gen Gesellen.

Tom stürzt, versinkt in das schäumende Meer,
Von den Wirbeln hinabgezogen;
Ein anderer tritt an den Platz, der leer,
Und steuert den Kiel durch die Wogen;
Das Schiff fliegt hinter der Beute her;
Doch schon hat die Nacht zu dunkeln begonnen;
Nicht sieht man die Brigg; fast scheint sie entronnen.

Und es düstert tief, als ob Todesgraun
Rings über dem Meere laste;
Die Matrosen stehn bei den Segeln und Taun;
Der Schiffsherr gebietet vom Maste –
Da hören sie unten ein Rauschen und schaun,
Wie Tom, der lange versunken Geglaubte,
Aus der Flut auftaucht mit dem bleichen Haupte.

Sieh, wie empor zu des Schiffes Rand
Langsam der Schreckliche klettert!
Wie neu er tritt an den alten Stand
Und den Steurer zu Boden schmettert!
Er wendet das Ruder mit fester Hand,
Und, bange gekauert an den Borden,
Flüstern die Schiffer: »Er steuert nach Norden.«

Die Stunden schwinden; dem Grausen zu nahn
Mag keiner vor Schrecken wagen;
Und als es über dem Ocean
Aufdämmernd begann zu tagen,
Da lähmte sie alle das Graun; sie sahn
Gebirge von Eise vor sich liegen,
Die empor gleich den Mauern des Weltalls stiegen.

Doch unverwandt nach Norden blickt Tom,
Wie die Nadel an der Bussole;
Schnell treibt und schneller der Meeresstrom
Den Kiel entgegen dem Pole,
Und bald, wie von einem krystallenen Dom,
Ist oben das Schiff und rings im Kreise
Umschlossen von flutendem, berstendem Eise.

Die Schollen türmen sich riesengroß
Gleich Alpen zum Himmelsdache
Und stürzen wieder zum Meeresschoß
Hinab mit Donnergekrache;
Und bei der Blöcke Fall und Stoß,
Die wie Hagelschlossen wirbeln und stieben,
Wo sind das Schiff und die Schiffer geblieben?

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Steuermann von Adolf Friedrich Graf von Schack

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Steuermann“ von Adolf Friedrich Graf von Schack erzählt eine düstere Geschichte von Meuterei, Verrat und letztendlich von der gerechten Strafe, die auf ein Schiff voller Piraten wartet. Es beginnt mit dem Aufruf des Schiffsherrn zur Kaperei, der von der gierigen Mannschaft mit Jubel aufgenommen wird. Nur der Steuermann Tom widersetzt sich diesem Treiben und wird daraufhin von den wütenden Seeleuten über Bord geworfen.

Die zweite Hälfte des Gedichts nimmt eine übernatürliche Wendung. Tom, der eigentlich ertrunken sein sollte, kehrt aus dem Meer zurück und ergreift die Kontrolle über das Schiff. Er stürzt den neuen Steuermann und wendet den Kurs nach Norden. Die Mannschaft ist von Angst erfüllt, als sie sich dem eisigen Polarkreis nähern. Die beschriebene Atmosphäre wechselt von der rauen See zur immer eisigeren und gefährlicheren Umgebung, was die drohende Strafe für die Piraten verdeutlicht.

Die Metapher des Eises, das sich auftürmt und letztendlich das Schiff und seine Besatzung verschlingt, ist von zentraler Bedeutung. Es steht für die kalte, unerbittliche Gerechtigkeit, die über die Piraten hereinbricht. Der Norden, der traditionell mit Kälte und Tod assoziiert wird, wird zum Ziel der Reise. Tom, der moralisch aufrechte Steuermann, wird zum Instrument dieser Gerechtigkeit, gelenkt von einem höheren Zweck. Seine Standhaftigkeit und sein unerschütterlicher Glaube an das Gute sind in starkem Kontrast zur Gier und Gesetzlosigkeit der Piraten.

Die detaillierten Beschreibungen der eisigen Landschaft und der Zerstörung des Schiffs erzeugen eine eindringliche Atmosphäre von Untergang und Vergeltung. Das Gedicht endet mit dem Verschwinden des Schiffs und seiner Mannschaft in den Eisbergen, was die vollständige Auslöschung der Piraten durch die Naturgewalten symbolisiert. Die Botschaft ist klar: Verbrechen und Ungerechtigkeit werden am Ende bestraft, und diejenigen, die dem Bösen die Stirn bieten, werden belohnt, auch wenn es ihren Tod bedeutet.

Insgesamt ist „Der Steuermann“ eine fesselnde Ballade, die Elemente von Seeräubergeschichten mit einer moralischen Lehre verbindet. Das Gedicht nutzt die Macht der Natur, um das Schicksal der Charaktere darzustellen und eine Geschichte von Gerechtigkeit, Verurteilung und der triumphalen Rückkehr des Guten zu erzählen. Der Autor verwendet eine lebendige Sprache und anschauliche Bilder, um die Dramatik und das Grauen der Geschichte zu verstärken.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.