Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
,

Der Sperling am Fenster

Von

Zaig, Chind ! Wie het sell Spätzli gsait?
Waisch’s nümme recht? Was luegsch rni a? –
„`s het gsait: I bi der Vogt im Dorf;
i mueß vo allem d’Vorles ha.“
Un wo der Spöötlig sait: ’s isch gnueg!,
was tuet my Spatz, wo d’Vorles het? –
„Er list am Bode d’Brösli uf,
sust müeßt er hungerig ins Bett.“
Un wo der Winter d’Felder denkt,
was tuet my Spatz in syner Not?
„Er pöpperlet am Fenster a
un bettlet um e Stückli Brot.
Gang, gib ern, Muetter ! `s friert en sust.“
Zaig, sag mer zerst, ’s pressiert nit so:
wie chunnt’s der mit dem Spätzli vor?
Mainsch nit, es chönnt aim au so goh? –
Chind, wird’s der wohl un ’s goht der guet,
sag nit: i bi ne riiche Heer,
un iß nit Brotis alli Tag!
,s chönnt anderst werde, handumchehr.
Iß nit der chrosplig Ranft vom Brot
un loß die waiche Brosme stoh!
– De hesch’s im Bruuch! – Es chunnt e Zyt,
un wenn de’s hättsch, wie wärsch so froh!
Ne blaue Möntig währt nit lang,
un d’Wuche het no menggi Stund,
un menggi Wuche lauft dur’s Dorf,
bis jedem au sy letschti chunnt.
Un was men in sym Früehlig lehrt,
me trait nit schwer un het’s emool,
un was men in sym Summer spart,
das chunnt aim in sym Spöötlig wohl.
Chind, denk mer dra, un halt di guet!
„O Muetter, lueg! der Spatz will goh!
Se gang er! Leng die Hirse dört
un streu ein! Er wird widerchoo!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Sperling am Fenster von Johann Peter Hebel

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Sperling am Fenster“ von Johann Peter Hebel ist eine anrührende, lehrreiche Erzählung, die in alemannischer Mundart gehalten ist und die Kindheit mit der Thematik von Bescheidenheit, Vorsorge und dem Wandel der Lebensumstände verwebt. Es beginnt mit einem Dialog zwischen einem Erwachsenen und einem Kind, der die Geschichte eines Spatzen am Fenster erzählt, der in Not gerät und um Hilfe bittet. Der Erwachsene stellt dem Kind Fragen, um sicherzustellen, dass es die Moral der Geschichte versteht, und nutzt die kindliche Perspektive, um die Botschaft eindringlich zu vermitteln.

Der Kern des Gedichts liegt in der Gegenüberstellung von Überfluss und Mangel sowie der Mahnung zur Demut und Voraussicht. Der Spatz, der zunächst im Überfluss lebt und „Vogt im Dorf“ spielt – also eine scheinbar privilegierte Position einnimmt – wird im Winter, wenn die Vorräte knapp werden, zum Bittsteller. Diese Entwicklung dient als Metapher für das Leben, das unvorhersehbare Wendungen nehmen kann. Die Warnung vor Übermut, der durch die „krosplig Ranft vom Brot“ symbolisiert wird, die man verschmäht, mahnt zu einem sparsamen und bescheidenen Umgang mit den Ressourcen.

Die Struktur des Gedichts ist sorgfältig aufgebaut. Der Dialog am Anfang führt den Leser in die Geschichte ein und erweckt sie zum Leben. Die Fragen des Erwachsenen an das Kind dienen dazu, die Moral der Geschichte zu betonen und sicherzustellen, dass sie verstanden wird. Die abschließenden Verse sind eine direkte Ansprache an die Kinder, in der die Lebensweisheit in einfache Worte gefasst wird. Die Verwendung der alemannischen Mundart verleiht dem Gedicht einen authentischen und volkstümlichen Charakter, der die Botschaft zusätzlich unterstreicht.

Das Gedicht appelliert an die Leser, vorausschauend zu handeln und sich nicht von kurzfristigen Freuden blenden zu lassen. Die Betonung der Bedeutung von Bescheidenheit und der Akzeptanz der Vergänglichkeit des Lebens ist ein zentrales Thema. Der Spatz, der am Ende des Gedichts getröstet wird und mit der Aussicht auf neues Futter entlassen wird, steht für die Hoffnung und die Gewissheit, dass in Zeiten des Mangels auch wieder bessere Zeiten kommen. Das Gedicht endet mit einem versöhnlichen Ausblick, der die Wichtigkeit von Vorsorge und Demut hervorhebt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.