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Der Seiltänzer

Von

Er geht. Die schräge Stange trägt ihn linde.
Der Himmel schlägt um ihn ein Feuerrad.
Ein Lächeln fällt von einem mageren Kinde,
Und an dem Lächeln wird die Mutter satt.

Ein jeder fühlt sich über sich erhaben
Und tänzelt glücklich auf gespanntem Seil.
Die Menschen wimmeln braun wie Küchenschaben,
Und sind dem Blick der Höhe wehrlos feil.

Dort unten hockt in schmutzigen Galoschen
Das Niedere und Gemeine, und es hebt
Die Stirn zur Höhe für zwei povre Groschen,
An denen feucht der Schweiß des Werktags klebt.

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Gedicht: Der Seiltänzer von Klabund

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Seiltänzer“ von Klabund zeichnet ein Bild von Höhen und Tiefen, von Überlegenheit und Erniedrigung, dargestellt durch die Metapher des Seiltänzers. Der Seiltänzer balanciert in den luftigen Höhen, wo die Welt sich verändert und die Perspektive eine andere ist. Die schräge Stange, die ihn sanft trägt, symbolisiert die Anstrengung und das Gleichgewicht, das für den Erfolg notwendig ist. Das „Feuerrad“ des Himmels um ihn herum deutet auf eine erhöhte Intensität und möglicherweise auch auf die Gefahr hin, die mit der Höhe verbunden ist.

Die zweite Strophe vertieft das Thema der Distanz und des Vergleichs. Die anderen Menschen scheinen aus der Höhe betrachtet klein und unbedeutend zu sein, „braun wie Küchenschaben“. Diese Metapher unterstreicht die Geringschätzung des Seiltänzers für die Welt unter ihm. Die Höhe verleiht dem Seiltänzer ein Gefühl der Überlegenheit und des Glücks, während er auf dem „gespannten Seil“ tanzt, das sowohl für die Herausforderungen als auch für die Freiheit steht. Die Tatsache, dass die Menschen ihrem „Blick der Höhe wehrlos feil“ sind, impliziert eine gewisse Macht des Seiltänzers über diejenigen, die unten bleiben.

Die dritte Strophe bildet den Kontrast zur erhabenen Welt des Seiltänzers. „Das Niedere und Gemeine“ wird durch das Bild der Menschen in schmutzigen Galoschen verkörpert, die unten hocken. Diese Menschen, deren Stirn sich zur Höhe erhebt, symbolisieren die Sehnsucht nach etwas Höherem, nach Anerkennung und vielleicht auch nach der Bewunderung des Seiltänzers. Der „Schweiß des Werktags“, der an den zwei „povre Groschen“ klebt, die sie für den Blick nach oben bezahlen, unterstreicht die Härte des Alltags und die Kluft zwischen der Welt des Seiltänzers und der Welt der einfachen Menschen.

Insgesamt ist „Der Seiltänzer“ ein Gedicht, das die menschliche Erfahrung des Strebens nach Höhe und die damit verbundene Ambivalenz thematisiert. Es wirft Fragen nach Überlegenheit, Distanz und dem Wert des Blicks auf. Die scharfe Gegenüberstellung von „oben“ und „unten“ offenbart eine kritische Auseinandersetzung mit sozialen Hierarchien und der menschlichen Natur.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.