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Der Schrecken im Bade

Von

Klug doch, von List durchtrieben, ist die Grete,
Wie kein′ im Dorf mehr! »Mütterchen«, so spricht sie,
Und gleich, als scheute sie den Duft der Nacht,
Knüpft sie ein Tuch geschäftig sich ums Kinn:
»Laß doch die Pforte mir, die hintre, offen;
Denn in der Hürd ein Lamm erkrankte mir,
Dem ich Lavendelöl noch reichen muß«:
Und, husch! statt nach der Hürde, die Verrätrin,
Drückt sie zum Seegestade sich hinab. –
Nun heiß, fürwahr, als sollt er Ernten reifen,
War dieser Tag des Mais und, Blumen gleich,
Fühlt jedes Glied des Menschen sich erschlafft. –
Wie schön die Nacht ist! Wie die Landschaft rings
Im milden Schein des Mondes still erglänzt!
Wie sich der Alpen Gipfel umgekehrt,
In den kristallnen See danieder tauchen!
Wenn das die Gletscher tun, ihr guten Götter,
Was soll der arme herzdurchglühte Mensch?
Ach! Wenn es nur die Sitte mir erlaubte,
Vom Ufer sänk ich selbst herab, und wälzte,
Wollüstig, wie ein Hecht, mich in der Flut!

Fritz! – Faßt nicht Schrecken, wie des Todes, mich!
– Fritz, sag ich, noch einmal: Maria – Joseph!
Wer schwatzt dort in der Fliederhecke mir?
– Seltsam, wie hier die Silberpappel flüstert!
Husch und Lavendelöl und Hecht und Sitte:
Als obs von seinen roten Lippen käme!
Fern im Gebirge steht der Fritz, und lauert
Dem Hirsch auf, der uns jüngst den Mais zerwühlte;
Doch hätt ich nicht die Büchs ihn greifen sehen,
Ich hätte schwören mögen, daß ers war. –

Gewiß! Diana, die mir unterm Spiegel,
Der Keuschheit Göttin, prangt, im goldnen Rahm:
Die Hunde liegen lechzend ihr zur Seite;
Und Pfeil und Bogen gibt sie, jagdermüdet,
Den jungen Nymphen hin, die sie umstehn:
Sie wählte sich, der Glieder Duft zu frischen,
Verständiger den Grottenquell nicht aus.
Hier hätt Aktäon sie, der Menschen Ärmster,
Niemals entdeckt, und seine junge Stirn
Wär ungehörnt, bis auf den heutgen Tag.
Wie einsam hier der See den Felsen klatscht!
Und wie die Ulme, hoch vom Felsen her,
Sich niederbeugt, von Schlee umrankt und Flieder,
Als hätt ein Eifersüchtger sie verwebt,
Daß selbst der Mond mein Gretchen nicht und nicht,
Wie schön sie Gott der Herr erschuf, kann sehn!

Fritz!

Was begehrt mein Schatz?

Abscheulicher!

O Himmel, wie die Ente taucht! O seht doch,
Wie das Gewässer heftig, mit Gestrudel,
Sich über ihren Kopf zusammenschließt!
Nichts, als das Haar, vom seidnen Band umwunden,
Schwimmt, mit den Spitzen glänzend, oben hin!
In Halle sah ich drei Halloren tauchen,
Doch das ist nichts, seit ich die Ratz erblickt!
Ei, Mädel! Du erstickst ja! Margarete!

Hilf! Rette! Gott mein Vater!

Nun? Was gibts? –
Ward, seit die Welt steht, so etwas erlebt!
Fritz ists, so schau doch her, der junge Jäger,
Der morgen dich, du weißt, zur Kirche führet! –
Umsonst! Sie geht schon wieder in den Grund!
Wenn wiederum die Nacht sinkt, kenn ich sie
Auswendig, bis zur Sohl herab, daß ichs
Ihr, mit geschlossnem Aug, beschreiben werde:
Und heut, von ohngefähr belauscht im Bade,
Tut sie, als wollte sie den Schleier nehmen,
Und nie erschaut von Männeraugen sein!

Unsittlicher! Pfui, Häßlicher!

Nun endlich!
In dein Geschick doch endlich fügst du dich.
Du setzest dich, wo rein der Kiesgrund dir,
Dem Golde gleich, erglänzt, und hältst mir still.
Wovor, mein Herzenskind, auch bebtest du?
Der See ist dir, der weite, strahlende,
Ein Mantel, in der Tat, so züchtiglich,
Als jener samtene, verbrämt mit Gold,
Mit dem du Sonntags in der Kirch erscheinst.

Fritz, liebster aller Menschen, hör mich an,
Willst du mich morgen noch zur Kirche führen?

Ob ich das will?

Gewiß? begehrst du das?

Ei, allerdings! Die Glock ist ja bestellt.

Nun sieh, so fleh ich, kehr dein Antlitz weg!
Geh gleich vom Ufer, schleunig, augenblicklich!
Laß mich allein!

Ach, wie die Schultern glänzen!
Ach, wie die Knie, als säh ich sie im Traum,
Hervorgehn schimmernd, wenn die Welle flieht!
Ach, wie das Paar der Händchen, festverschränkt,
Das ganze Kind, als wärs aus Wachs gegossen,
Mir auf dem Kiesgrund schwebend aufrecht halten!

Nun denn, so mag die Jungfrau mir verzeihn!

Du steigst heraus? Ach, Gretchen! Du erschreckst mich?
Hier an den Erlstamm drück ich das Gesicht,
Und obenein noch fest die Augen zu.
Denn alles, traun, auf Erden möcht ich lieber,
Als mein geliebtes Herzenskind erzürnen.
Geschwind, geschwind! Das Hemdchen – hier! da liegt es!
Das Röckchen jetzt, das blaugekantete!
Die Strümpfe auch, die seidnen, und die Bänder,
Worin ein flammend Herz verzeichnet ist!
– Auch noch das Tuch? Nun, Gretchen, bist du fertig?
Kann ich mich wenden, Kind?

Schamloser, du!
Geh hin und suche für dein Bett dir morgen,
Welch eine Dirn im Orte dir gefällt.
Mich, wahrlich, wirst du nicht zur Kirche führen!
Denn wisse: wessen Aug mich nackt gesehn,
Sieht weder nackt mich noch bekleidet wieder!

Gott, Herr, mein Vater, in so großer Not,
Bleibt auf der Welt zum Trost mir nichts, als eines.
Denn in das Brautbett morgen möcht ich wohl,
Was leugnet ichs; doch, Herzchen, wiß auch du:
In Siegismunds, des Großknechts, nicht in deins.

Was sagst du?

Was?

Sieh da, die Schäkerin!
Johanna ists, die Magd, in Fritzens Röcken!
Und äfft, in eines Flieders Busch gesteckt,
Mit Fritzens rauher Männerstimme mich!

Ha, ha, ha, ha!

Das hätt ich wissen sollen!
Das hätte mir, als ich im Wasser lag,
Der kleine Finger jückend sagen sollen!
So hätt ich, als du sprachst: »Ei sieh, die Nixe!
Wie sie sich wälzet!« und: »Was meinst du, Kind;
Soll ich herab zu dir vom Ufer sinken?«
Gesagt: »komm her, mein lieber Fritz, warum nicht?
Der Tag war heiß, erfrischend ist das Bad,
Und auch an Platz für beide fehlt es nicht«;
Daß du zu Schanden wärst, du Unverschämte,
An mir, die dreimal Ärgere, geworden.

So! Das wär schön gewesen! Ein züchtig Mädchen, wisse,
Soll über solche Dinge niemals scherzen;
So lehrt es irgendwo ein schwarzes Buch. –
Doch jetzt das Mieder her; ich wills dir senkeln:
Daß er im Ernst uns nicht, indes wir scherzen,
Fritz hier, der Jäger, lauschend überrasche.
Denn auf dem Rückweg schleicht er hier vorbei;
Und schade wär es doch – nicht wahr, mein Gretchen?
Müßt er dich auch geschnürt nie wiedersehn.

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Gedicht: Der Schrecken im Bade von Heinrich von Kleist

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Schrecken im Bade“ von Heinrich von Kleist ist ein komplexes Werk, das von Verwirrung, Täuschung und überraschenden Wendungen geprägt ist. Es erzählt die Geschichte eines Mannes, der glaubt, seine Geliebte Gretchen beim Baden zu beobachten und dabei Zeuge ihrer vermeintlichen Nacktheit wird. Die eigentliche Pointe des Gedichts enthüllt eine noch größere Überraschung und eine satirische Darstellung von Eifersucht, Täuschung und Rollenspiel.

Das Gedicht beginnt mit der scheinbaren Entblößung Gretchens, die sich heimlich zum Baden an einen See begibt. Der Erzähler, der vermutlich Fritz ist, beobachtet sie aus der Ferne und beschreibt ihre vermeintliche Nacktheit und die erotische Anziehungskraft, die sie auf ihn ausübt. Kleists Sprache ist bildhaft und sinnlich, erzeugt eine Atmosphäre der Heimlichkeit und des Voyeurismus. Der Erzähler ist hin- und hergerissen zwischen Begierde und Scham, während er die Szene kommentiert und seine eigenen Gefühle offenbart. Die Verwendung von Anrede wie „Fritz“ und die Dialogfetzen schaffen eine intime Atmosphäre, lassen aber auch Zweifel an der Zuverlässigkeit des Erzählers aufkommen.

Die Spannung erreicht ihren Höhepunkt, als die vermeintliche Gretchen aus dem Wasser steigt und sich scheinbar schamhaft bedeckt. Doch die finale Wendung des Gedichts enthüllt die wahre Identität der „Gretchen“: Es ist Johanna, das Dienstmädchen, das sich in Fritzens Kleidung verkleidet hat, um ihn zu verspotten und zu täuschen. Diese überraschende Enthüllung ändert die gesamte Bedeutung des Gedichts, indem sie die vorherige Beobachtung in ein satirisches Spiel verwandelt. Die Reaktion der echten Gretchen, die die Täuschung bemerkt, zeigt ihre Enttäuschung und ihren Verrat an Fritz‘ vermeintlichen Absichten.

Kleist nutzt in diesem Gedicht verschiedene literarische Stilmittel, um die komplexen Emotionen und die satirische Natur der Geschichte zu unterstreichen. Die Verwendung von Reim und Rhythmus verleiht dem Gedicht eine gewisse Leichtigkeit, die dem ernsten Thema des Verrats und der Täuschung entgegensteht. Die zahlreichen Dialoge und Monologe der Charaktere schaffen Lebendigkeit und ermöglichen es dem Leser, an der Gedankenwelt der Figuren teilzuhaben. Die mythologischen Anspielungen, wie die Erwähnung der Diana, der Göttin der Jagd und Keuschheit, kontrastieren ironisch mit der erotischen Spannung und den betrügerischen Absichten.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass „Der Schrecken im Bade“ ein vielschichtiges Gedicht ist, das auf satirische Weise die Themen Täuschung, Eifersucht, Rollenspiel und die Natur der menschlichen Wahrnehmung behandelt. Kleist nutzt sprachliche Mittel, um eine Atmosphäre der Verwirrung und des Voyeurismus zu erzeugen, und die unerwartete Wendung am Ende des Gedichts unterstreicht die Ironie der Situation. Das Gedicht wirft Fragen über die Zuverlässigkeit von Beobachtungen und die Natur der menschlichen Beziehungen auf und zeigt, wie leicht sich Wahrheit und Täuschung vermischen können.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.