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Der Sack und die Mäuse

Von

Ein dicker Sack voll Weizen stand
Auf einem Speicher an der Wand. –
Da kam das schlaue Volk der Mäuse
Und pfiff ihn an in dieser Weise:
„Oh, du da in der Ecke,
Großmächtigster der Säcke!
Du bist ja der Gescheitste,
Der dickste und der Breitste!
Respekt und Referenz
Vor eurer Exzellenz!“
Mit innigem Behagen hört
Der Sack, daß man ihn so verehrt.
Ein Mäuslein hat ihm unterdessen
Ganz unbemerkt ein Loch gefressen.
Es rinnt das Korn in leisem Lauf.
Die Mäuse knuspern′s emsig auf.
Schon wird er faltig, krumm und matt.
Die Mäuse werden fett und glatt.
Zuletzt, man kennt ihn kaum noch mehr,
Ist er kaputt und hohl und leer.
Erst ziehn sie ihn von seinem Thron;
Ein jedes Mäuslein spricht ihm hohn;
Und jedes, wie es geht, so spricht′s:
„Empfehle mich, Herr Habenichts!“

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Gedicht: Der Sack und die Mäuse von Wilhelm Busch

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Sack und die Mäuse“ von Wilhelm Busch ist eine humorvolle, satirische Fabel, die auf subtile Weise menschliche Schwächen wie Eitelkeit, Ausbeutung und den schnellen Verfall von Macht und Reichtum thematisiert. Der dicke Sack, Symbol für materielle Fülle und vermeintliche Stärke, wird von den Mäusen mit schmeichelhaften Worten umgarnt, während sie gleichzeitig heimlich sein kostbares Gut plündern.

Busch nutzt die cleveren Mäuse als Sinnbild für diejenigen, die von Macht und Reichtum profitieren, ohne Rücksicht auf Verluste. Ihre schmeichelhaften Worte an den Sack sind nichts als hohle Phrasen, die dazu dienen, ihre eigenen egoistischen Ziele zu erreichen. Das Loch, das sie in den Sack fressen, symbolisiert den schleichenden Verlust und die Zersetzung, die durch Ausbeutung und Gier entstehen. Der Sack, verblendet von der vermeintlichen Verehrung, bemerkt den Verrat nicht, bis es zu spät ist.

Die Entwicklung des Gedichts ist bemerkenswert: Von der anfänglichen Bewunderung bis zum endgültigen Niedergang des Sacks spannt Busch einen Bogen, der die Vergänglichkeit von Besitz und die Doppelmoral derjenigen aufzeigt, die ihn umgeben. Die scheinbare Ehrfurcht der Mäuse wandelt sich in Spott, sobald der Sack entmachtet ist. Der Satz „Empfehle mich, Herr Habenichts!“ am Ende des Gedichts ist eine beißende Abrechnung mit dem ehemaligen „Großmächtigsten“, der nun nichts mehr besitzt.

Die Stärke des Gedichts liegt in seiner einfachen Sprache und der klaren Struktur, die es dem Leser ermöglichen, die moralische Botschaft leicht zu erfassen. Busch versteht es meisterhaft, durch die Verwendung von Reim und Rhythmus eine humorvolle Atmosphäre zu schaffen, die jedoch die tieferliegende Kritik an menschlichen Schwächen nicht verdeckt. Der „Sack und die Mäuse“ ist ein zeitloses Beispiel für Buschs Fähigkeit, Alltagssituationen in satirische Kunstwerke zu verwandeln, die sowohl unterhaltsam als auch lehrreich sind.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.