Du edler Stern am hohen Himmelszelt,
Du Herr und König deiner Brüder!
Du bist so gut gesinnt – du wärmest uns die Welt,
Und schmückst mit Blumen uns das Feld,
Und machst den Bäumen Laub, den Vögeln bunt Gefieder;
Du machst uns Gold, das Wunderding der Welt,
Und Diamant, und seine Brüder;
Kömmst alle Morgen fröhlich wieder,
Und schüttest immer Strahlen nieder –
Sprich edler Stern am hohen Himmelszelt,
Wie wachsen dir die Strahlen wieder?
Wie wärmest du? Wie schmückst du Wald und Feld?
Wie machst du doch in aller Welt
Dem Diamant sein Licht, dem Pfau sein schön Gefieder?
Wie machst du Gold?
Sprich liebe Sonn’, ich wüßt’ es gern.
Die SonneWeiß ichs? Geh, frage meinen Herrn.
Der Philosoph und die Sonne
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Philosoph und die Sonne“ von Matthias Claudius ist eine humorvolle Reflexion über die Grenzen menschlichen Wissens und die einfache, aber fundamentale Natur des Lebens. Es stellt die scheinbar unkomplizierte Frage nach dem Ursprung und den Vorgängen der Sonne, um dann die Antwort in die Obhut des ‚Herrn‘ zu verweisen. Die Frage selbst ist in bewundernder Weise formuliert, die Sonne wird als ‚edler Stern‘, ‚Herr und König‘ und ‚liebe Sonn‘ bezeichnet, was die Ehrfurcht des Fragestellers vor der Natur widerspiegelt.
Die Struktur des Gedichts ist bemerkenswert: Der Philosoph stellt rhetorische Fragen, die die lebensspendenden und ästhetischen Eigenschaften der Sonne hervorheben. Er fragt nach dem Geheimnis hinter ihren Strahlen, dem Warmmachen der Welt, der Schönheit in Natur und Materie. Diese Fragen sind von kindlicher Neugier getragen, die den Wunsch nach Verständnis der Welt ausdrückt. Die Häufung von Fragen und die detailreichen Beschreibungen der Sonnenwirkungen legen Zeugnis von einem staunenden Blick auf die Welt ab.
Die Pointe des Gedichts liegt in der Antwort der Sonne. Statt eine naturwissenschaftliche Erklärung zu liefern, verweist die Sonne auf ihren „Herrn“. Diese lapidare Antwort ist eine augenzwinkernde Kritik an dem menschlichen Drang nach umfassendem Wissen. Sie deutet an, dass es Dinge gibt, die jenseits des menschlichen Verständnisses liegen und dass die letztendliche Antwort auf die großen Fragen des Lebens in einer höheren Macht oder in dem „Geheimnis“ selbst zu finden ist. Der Philosoph wird hierdurch nicht entmutigt, sondern auf eine höhere Ebene verwiesen, ohne die Antwort selbst zu bekommen.
Durch die humorvolle Gestaltung und die einfache Sprache wird eine tiefe philosophische Erkenntnis vermittelt: Die Unzulänglichkeit des menschlichen Verstandes und die Akzeptanz der Grenzen des Wissens. Das Gedicht ermutigt dazu, die Welt mit Staunen zu betrachten, aber auch zu erkennen, dass die Suche nach Antworten nicht immer zu greifbaren Ergebnissen führt. Es ist eine charmante Metapher für die Suche nach den tieferen Wahrheiten des Lebens und die Einsicht, dass manche Mysterien ungelöst bleiben dürfen.
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