Der Maiabend
Umweht von Maiduft,
unter des Blütenbaums Helldunkel
sehn wir Abendgewölk’ verglüh’n,
des vollen Mond’s Aufgang erwartend
und Philomelengesäng’ im Talbusch.
Lau war die Dämm’rung,
traulicher scherzten wir,
mit nachgeahmter Fröhlichkeit bald verstummt,
in holdem Tiefsinn saß das Mägdlein,
flüsterte wollen wir gehn, und ging nicht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Der Maiabend“ von Johann Heinrich Voß beschreibt eine Szene der Abenddämmerung im Frühling, die von einer beobachtenden Perspektive aus erzählt wird. Der erste Teil des Gedichts fokussiert auf die äußere Natur: Der „Maiduft“ und das „Helldunkel“ des Blütenbaums schaffen eine sinnliche Atmosphäre, während die Erwartung des Mondaufgangs und des Nachtigallengesangs eine Stimmung der Ruhe und des Wartens erzeugt. Die gewählten Worte, wie „Umweht“ und „verglüh’n“, vermitteln eine sanfte Bewegung und das Vergehen des Tages, was die Vergänglichkeit des Augenblicks andeutet.
Der zweite Teil des Gedichts verlagert den Fokus auf die zwischenmenschliche Beziehung, insbesondere auf das „Mägdlein“. Die Stimmung der „Dämm’rung“ bleibt, wird aber durch das Adjektiv „lau“ und das Verb „scherzten“ mit einer menschlichen Komponente angereichert. Der Übergang von der Naturbeobachtung zur Intimität der kleinen Gruppe, die sich in der Dämmerung zusammenfindet, wird durch das Verb „saß“ betont. Die „nachgeahmte Fröhlichkeit“ deutet auf eine gewisse Melancholie oder Sehnsucht hin, die die Oberflächenstimmung durchdringt.
Das zentrale Moment des Gedichts ist die paradoxe Handlung des „Mägdleins“: Sie „flüsterte wollen wir gehn, und ging nicht“. Dieser Satz fängt die Spannung und das Zögern, die im Gedicht mitschwingen, auf meisterhafte Weise ein. Er suggeriert ein Gefühl des Verharrens, der Sehnsucht nach Veränderung, die aber durch eine innere oder äußere Kraft gebremst wird. Dies erzeugt eine emotionale Tiefe, die über die Beschreibung einer einfachen Abendstimmung hinausgeht und Raum für vielfältige Interpretationen lässt – vielleicht eine Sehnsucht, eine Angst oder eine Erwartung.
Insgesamt ist „Der Maiabend“ ein Gedicht, das die flüchtige Schönheit des Augenblicks einfängt und gleichzeitig subtile emotionale Zwischentöne anschlägt. Durch die Gegenüberstellung von Natur und menschlicher Erfahrung sowie die eindringliche Formulierung des letzten Verses gelingt es Voß, eine Stimmung der Ruhe, der Kontemplation und der leisen Melancholie zu erzeugen. Das Gedicht lebt von der suggestiven Kraft seiner Sprache und dem subtilen Spiel mit Erwartung und Erfüllung, was es zu einem bleibenden Zeugnis romantischer Lyrik macht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.