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Der Fuchs und die Elster

Von

Zur Elster sprach der Fuchs: „O! wenn ich fragen mag,
Was sprichst du doch den ganzen Tag?
Du sprichst wohl von besondern Dingen?“
„Die Wahrheit“, rief sie, „breit′ ich aus.
Was keines weiß herauszubringen,
Bring′ ich durch meinen Fleiß heraus,
Vom Adler bis zur Fledermaus.“

„Dürft′ ich“, versetzt der Fuchs, „mit Bitten dich beschweren,
So wünscht′ ich mir, etwas von deiner Kunst zu hören.“

So, wie ein weiser Arzt, der auf der Bühne steht
Und seine Künste rühmt, bald vor, bald rückwärts geht,
Sein seidnes Schnupftuch nimmt, sich räuspert und dann spricht:
So lief die Elster auch den Ast bald auf, bald nieder
Und strich an einen Zweig den Schnabel hin und wider
Und macht ein sehr gelehrt Gesicht.
Drauf fängt sie ernsthaft an und spricht:

„Ich diene gern mit meinen Gaben,
Denn ich behalte nichts für mich.
Nicht wahr, Sie denken doch, daß Sie vier Füße haben?
Allein, Herr Fuchs, Sie irren sich.
Nur zugehört! Sie werden′s finden,
Denn ich beweis′ es gleich mit Gründen.

Ihr Fuß bewegt sich, wenn er geht,
Und er bewegt sich nicht, so lang er stille steht;
Doch merken Sie, was ich itzt sagen werde,
Denn dieses ist es noch nicht ganz.
So oft Ihr Fuß nur geht, so geht er auf der Erde.
Betrachten Sie nun Ihren Schwanz.
Sie sehen, wenn Ihr Fuß sich reget,
Daß auch Ihr Schwanz sich mit beweget;
Itzt ist Ihr Fuß bald hier, bald dort,
Und so geht auch Ihr Schwanz mit auf der Erde fort,
So oft Sie nach den Hühnern reisen.
Daraus zieh′ ich nunmehr den Schluß,
Ihr Schwanz, das sei Ihr fünfter Fuß:
Und dies, Herr Fuchs, war zu beweisen.“

Ja, dieses hat uns noch gefehlt;
Wie freu′ ich mich, daß es bei Tieren
Auch große Geister giebt, die alles demonstrieren!
Mir hat′s der Fuchs für ganz gewiß erzählt.
Je minder sie verstehn, sprach dieses schlaue Vieh,
Um desto mehr beweisen sie.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Fuchs und die Elster von Christian Fürchtegott Gellert

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Fuchs und die Elster“ von Christian Fürchtegott Gellert ist eine humorvolle und satirische Fabel, die die Eitelkeit und das Geschwätz der Elster sowie die Gerissenheit des Fuchses thematisiert. Der Fokus liegt auf der leeren Redseligkeit und dem vermeintlichen Gelehrtentum der Elster, die sich in ihrer elaborierten, aber inhaltlich sinnlosen „Beweisführung“ manifestiert.

Die Elster prahlt zunächst mit ihrer Fähigkeit, „die Wahrheit“ auszubreiten und Wissen zu vermitteln, was sie durch ihr „Fleiß“ erreiche. Sie stellt sich als Universalgelehrte dar, die von Adler bis Fledermaus alles versteht. Der Fuchs, der durchschaut, dass die Elster nur leere Worte produziert, nutzt ihre Eitelkeit, um sie dazu zu bringen, ihre „Kunst“ zu demonstrieren. Die Elster beginnt daraufhin, eine „Beweisführung“ zu konstruieren, in der sie mit pseudowissenschaftlicher Akribie beweist, dass der Fuchs fünf Füße hat.

Die Ironie des Gedichts liegt in der Diskrepanz zwischen dem hohen Anspruch der Elster und dem banalen Inhalt ihrer Ausführungen. Die detaillierte Beschreibung ihrer „Argumentation“ – beispielsweise, dass der Schwanz ein fünfter Fuß sei, weil er sich mitbewegt – ist absurd und entlarvt ihre intellektuelle Leere. Gellert nutzt hier eine übertriebene Form der rhetorischen Analyse, die die Überheblichkeit und das Gerede der Elster karikiert.

Das Gedicht ist auch eine subtile Kritik an der menschlichen Neigung, sich mit unnützem Wissen zu brüsten und komplexe Theorien zu konstruieren, ohne tatsächlichen Wert zu schaffen. Der Fuchs, der im letzten Vers die Aussage der Elster als „gewiß“ betrachtet, verdeutlicht die Leichtgläubigkeit und die Tendenz, auch unhaltbaren Behauptungen zu glauben, solange sie in einem ansprechenden Gewand präsentiert werden. Das Gedicht endet mit der Erkenntnis des Fuchses, dass jene, die am wenigsten verstehen, am meisten beweisen.

In der Gesamtheit ist „Der Fuchs und die Elster“ eine amüsante, aber auch erhellende Lektüre, die zum Nachdenken über die Bedeutung von Wahrheit, Wissen und Eitelkeit anregt. Es zeigt, wie leicht sich Menschen von leerem Gerede beeindrucken lassen und wie wichtig es ist, den Inhalt und nicht nur die Form von Aussagen zu hinterfragen. Gellerts Werk ist ein gutes Beispiel für die didaktische Absicht der Aufklärung, die durch Ironie und Satire versucht, das Publikum zu erziehen und zu kritisieren.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.