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Der Frühling

Von

Schnee deckt Gebirg und Ebne;
Eis fesselt Meer und Flüsse;
Wie gräßliche Gerippe
Stehn Waldung und Gebüsche.
Im Herbste starb die Sonne,
Seitdem herrscht Tod auf Erden ….

Was seh′ ich? … Unsichtbare
Und rasche Hände rollen
Das finstere Gewölke,
Das uns den Winter über
Des Himmels Anblick raubte,
Wie einen Reisemantel
Zusammen, und es öffnen
Sich angelweit die Thore
Der hellazurnen Wohnung
Der Sonne, der verjüngten,
Der neuen, jetzo münd′gen
Beherrscherin der Erde!
Nach allen Seiten stürzen
Von ihres Thrones Fuße,
Wie flüssig Gold und Silber,
Sich volle Lebensbäche
Zur starren Erde nieder.
Der stürzt in′s Meer, und schmelzet
Der Wogen starke Bande:
Seht! dichter Qualm entsteiget
Dem Kampf der Elemente.
Der stürzt auf das Gebirge,
Und die entfernten Berge
Erscheinen blau, die nahen
In anmuthsvollem Grüne.
Der stürzet auf die Ebne,
Und der einfärb′ge Schnee wird
Zu tausendfarbnen Blumen;
In üppigem Gewande
Erscheinen Wald und Büsche.
Horcht! … Eine graue Wolke,
An Form dem Meerschiff′ ähnlich,
Durchschneidet raschen Laufes
Der Lüfte blaue Wellen;
Harmonisches Geflöte
Enttönet ihrem Schweben,
Je näher, desto voller,
Anmuthiger, erhabner!
Ist′s eine Zauberwolke,
Der eine Fee in heitrer,
Scherzhafter Laune Leben
Und Stimme mitgetheilet …
O anmuthsvoller Irrthum!
Es sind die Sängerinnen,
Des Lenzes Zauberkehlen,
Ein Heer von Nachtigallen!
Den Schaaren der Erobrer
Nicht ungleich, nehmen schnell sie
Besitz von Hain und Walde,
Und lassen sich da nieder,
Um alles rings mit Leben
Und Wohllaut zu erfüllen!

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Gedicht: Der Frühling von Elisabeth Kulmann

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Frühling“ von Elisabeth Kulmann beschreibt auf anschauliche Weise den Übergang vom Winter zum Frühling, wobei die Natur als Bühne für eine dramatische Erweckung dient. Das Gedicht beginnt mit einer düsteren Beschreibung der winterlichen Kälte, die sich in der starren Landschaft manifestiert: Schnee, Eis und tote Vegetation dominieren die Szenerie. Diese einleitenden Verse setzen einen deutlichen Kontrast zum darauffolgenden Aufbruch, der von einer neuen, lebendigen Macht beherrscht wird.

Der zweite Teil des Gedichts ist von einer dynamischen und freudigen Atmosphäre geprägt. Die „unsichtbaren und raschen Hände“ symbolisieren den Wandel, der durch die Auflösung der winterlichen Decke eingeleitet wird. Die Sonne, als „verjüngte“ und „neue“ Beherrscherin der Erde, spielt hier eine zentrale Rolle, da sie mit ihren Strahlen Lebensbäche entfacht, die die starre Erde erwärmen und beleben. Die Metaphern von flüssigem Gold und Silber veranschaulichen die Fülle und den Reichtum, der durch das Schmelzen von Eis und Schnee freigesetzt wird.

Die Metamorphose der Natur wird durch detaillierte Beschreibungen der sich verändernden Landschaften weitergeführt: Die Berge erscheinen in Blau und Grün, der Schnee verwandelt sich in Blumen, und die Bäume ergrünen in „üppigem Gewande“. Kulmann beschreibt somit nicht nur den physischen Wandel, sondern auch die damit einhergehende Verwandlung der Wahrnehmung. Der Höhepunkt dieses Wandels ist das Erscheinen der Nachtigallen, die in den letzten Strophen mit ihrem Gesang den Frühling ankündigen und die Natur mit Leben und Wohllaut erfüllen. Ihre Ankunft wird mit dem Einzug einer Armee verglichen, was die Vitalität und Macht des Frühlings unterstreicht.

Das Gedicht ist eine Ode an die Erneuerung und die Schönheit der Natur. Kulmann nutzt eine lebendige Sprache und reichhaltige Bilder, um den Kreislauf der Jahreszeiten zu feiern und die Kraft des Lebens zu beschreiben, das sich selbst im Angesicht der scheinbaren Zerstörung immer wieder neu erfindet. Die zentrale Botschaft des Gedichts ist somit die Hoffnung und das Vertrauen in die zyklische Natur des Lebens, die nach jeder Phase der Dunkelheit und Stille eine neue Blüte hervorbringt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.