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Der Aufbruch

Von

Einmal schon haben Fanfaren mein ungeduldiges Herz blutig gerissen,

Daß es, aufsteigend wie ein Pferd, sich wütend ins Gezäum verbissen.

Damals schlug Tambourmarsch den Sturm auf allen Wegen,

Und herrlichste Musik der Erde hieß uns Kugelregen.

Dann, plötzlich, stand Leben stille. Wege führten zwischen alten Bäumen.

Gemächer lockten. Es war süß, zu weilen und sich versäumen,

Von Wirklichkeit den Leib so wie von staubiger Rüstung zu entketten,

Wollüstig sich in Daunen weicher Traumstunden einzubetten.

Aber eines Morgens rollte durch Nebelluft das Echo von Signalen,

Hart, scharf, wie Schwerthieb pfeifend. Es war wie wenn im Dunkel plötzlich Lichteraufstrahlen.

Es war wie wenn durch Biwakfrühe Trompetenstöße klirren,

Die Schlafenden aufspringen und die Zelte abschlagen und die Pferde schirren.

Ich war in Reihen eingeschient, die in den Morgen stießen, Feuer über Helm undBügel,

Vorwärts, in Blick und Blut die Schlacht, mit vorgehaltnem Zügel.

Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche umstreichen,

Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter Leichen.

Aber vor dem Erraffen und vor dem Versinken

Würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend trinken.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Aufbruch von Ernst Stadler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Aufbruch“ von Ernst Stadler beschreibt einen inneren Konflikt und die anschließende Entscheidung für das aktive Leben, den Aufbruch in eine ungewisse Zukunft. Die ersten vier Verse stellen die anfängliche Unruhe und den Drang nach Veränderung dar, der das lyrische Ich bereits in der Vergangenheit erfasst hat. Die „Fanfaren“ und der „Tambourmarsch“ stehen für den Ruf nach Aktivität und Abenteuer, der das Herz des Sprechers „blutig gerissen“ hat. Der Vergleich mit einem „Pferd, das sich wütend ins Gezäum verbissen“ spiegelt die unbändige Energie und den ungestümen Drang wider, die das Ich antreiben. Die „herrlichste Musik der Erde“ und der „Kugelregen“ lassen auf eine Zeit des Krieges schließen, in der das Ich bereits Erfahrungen gesammelt hat.

In den folgenden Versen wird der Kontrast zur Ruhe und zum passiven Leben deutlich. Das Ich beschreibt eine Phase der Stille und des Rückzugs, in der es sich von der Hektik der Welt entfernt hat. „Wege führten zwischen alten Bäumen,“ und „Gemächer lockten“ suggerieren einen Wunsch nach Frieden und Geborgenheit. Der Sprecher beschreibt das süße Gefühl, sich „zu versäumen“ und „sich in Daunen weicher Traumstunden einzubetten“, also sich der Welt zu entziehen und dem Müßiggang zu frönen. Diese Phase der Ruhe ist jedoch nur vorübergehend, da die Sehnsucht nach Aktivität erneut erwacht.

Die letzten Verse zeigen den endgültigen Aufbruch in die ungewisse Zukunft. Das „Echo von Signalen“ und die „Trompetenstöße“ wecken das Ich aus seiner Ruhe. Es vollzieht den Schritt zurück in die Gemeinschaft, in die Reihen der Kämpfer. Das Aufbruchmotiv, das in den ersten Zeilen angedeutet wurde, wird hier konkretisiert. Die Metaphern von „Feuer über Helm und Bügel“ und „Schlacht, mit vorgehaltnem Zügel“ verdeutlichen die Bereitschaft, sich dem Kampf zu stellen, obwohl das Ergebnis ungewiss ist. Die Zeilen „Vielleicht würden uns am Abend Siegesmärsche umstreichen, / Vielleicht lägen wir irgendwo ausgestreckt unter Leichen“ zeigen die Akzeptanz sowohl des Sieges als auch des Todes.

Der letzte Vers, „Würden unsre Augen sich an Welt und Sonne satt und glühend trinken“, fasst die Essenz des Gedichts zusammen: Der Aufbruch ist nicht nur eine Bewegung weg von der Ruhe, sondern eine Hinwendung zum Leben, zur Erfahrung und zur Intensität des Seins. Das lyrische Ich will die Welt mit all ihren Facetten erfahren, sei es durch Sieg oder Tod. Die Hingabe an das Leben wird über das persönliche Schicksal gestellt. Die „Sonne“ symbolisiert hier die Lebenskraft und das Streben nach Erkenntnis, die das Ich antreibt, selbst wenn der Weg in die Ungewissheit führt. Das Gedicht ist somit ein Bekenntnis zur Lebensbejahung, zur Aktivität und zur Bereitschaft, sich dem Schicksal zu stellen.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.