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Das Weib

Von

Es war eine Geige;
unscheinbar und schlicht,
lehnte sie in einer Ecke
des prunkvollen Zimmers.

Ein großer Künstler
besaß die Geige ….

Es kamen Schüler
und Herren zu ihm,
um zu lernen
und um ihm zu schmeicheln;
feine Prinzen kamen zu ihm.

Manchmal hielten sie stumm
vor der Pforte des Hauses ..
Hatten die Sterne Stimmen bekommen?
War der Erde Feuer
in eine Seele geflohen
und schlug aus ihr
in tausend jauchzenden
klingenden Flammen?
Posaunten die Kriege
des jüngsten Tages
in erzenen Schreien
nieder?

Und die Lauscher
flogen hinauf in den Saal,
und sie trafen den Meister
mit brennenden Augen
und zitternden Pulsen.

»Wo ist das Werkzeug,
womit du den Himmel bethörst?«
riefen sie.

Er aber deutete
gelassen auf alle
die samtenen, güldenen
Kästen, darinnen
auf seidenen Kissen
die kostbaren Geigen
gebettet lagen.

»Es wird wohl eine
von diesen sein«.

Und die Schüler warfen sich
über die funkelnden
Instrumente.
Aber keines besaß die Seele,
die sie singen gehört.
Und sie spähten und suchten,
und quälten die Saiten,
aber vergeblich.

Derbe Töne voll irdischen Wohlklangs
entlockte ihr Bogen;
doch jene himmlische,
bachantisch süße,
tolle, berückende,
wehlüsterne, selige,
glückselige Seele
sang ihnen nicht …

Da entdeckte einer
die unscheinbare
in der Ecke lehnende
schlichte Geige.

Und er ergriff sie,
und begann sie zum Tönen
zu bringen.
Doch eine kalte
gefühlleere Antwort
ward seiner glühenden Frage …

Nachdenklich sinnend
verließen die Schüler
das Haus ihres Meisters.

Aber als er allein war,
trat er zu jener
unscheinbaren
schlichten Geige …

Und er berührte sie;
und es schluchzte und jauchzte
aus ihren Saiten
bei seiner Liebkosung.

Und es schluchzte und jauchzte
bei seiner Liebkosung,
und es schienen Blumen
unter seinen zitternden Fingern zu sprießen,
und wie Lachen
blutig geküßter Lippen,
wie Küsse kleiner unschuldiger Vögel
kams aus den Saiten.

Heil dir Geige!
der nur der eine
Jauchzen des Himmels entlocken kann.

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Gedicht: Das Weib von Maria Janitschek

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Weib“ von Maria Janitschek ist eine Allegorie auf die Beziehung zwischen einem Künstler und seinem Instrument, wobei das Instrument eine Frau symbolisiert. Es erzählt die Geschichte eines großen Künstlers und der Suche nach dem „Werkzeug“, das seine himmlische Musik erzeugt. Das Gedicht nutzt eine Geige als Metapher, um die Tiefe und Komplexität der weiblichen Seele und die besondere Beziehung zwischen Künstler und Muse zu veranschaulichen.

Die ersten Strophen beschreiben die unscheinbare Geige in der Ecke eines prächtigen Zimmers und die Ankunft von Schülern und Herren, die vom Meister lernen wollen. Die beschriebenen Personen, einschließlich „feiner Prinzen“, repräsentieren die Suche nach oberflächlichem Ruhm und Anerkennung, während sie die wahre Quelle der Kunst, die tiefe Verbindung zur Geige, übersehen. Die Schüler, die sich auf die prächtigen Geigen stürzen, sind unfähig, die Seele der Musik zu erfassen, da sie nur die äußere Erscheinung und den materiellen Wert der Instrumente beachten. Ihre Suche nach einem „Werkzeug“ spiegelt ein mechanistisches Verständnis von Kunst wider.

Die Mitte des Gedichts markiert einen Wendepunkt. Die Schüler, die sich vergeblich bemühen, den himmlischen Klang zu erzeugen, der zuvor gehört wurde, finden nur „derbe Töne voll irdischen Wohlklangs“. Nur einer entdeckt die unscheinbare Geige in der Ecke, doch auch ihm wird zunächst eine „kalte, gefühlleere Antwort“ zuteil. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit einer tiefen, persönlichen Beziehung zur „Geige“ – zur weiblichen Seele – um die wahre Kunst hervorzubringen.

Das Gedicht gipfelt in der Begegnung des Künstlers mit der Geige, als er allein ist. Durch seine Berührung und Liebkosung erwachen die Saiten zu einem Orchester von Gefühlen – „schluchzte und jauchzte“, „Blumen sprießen“, „Küsse kleiner unschuldiger Vögel“. Die beschriebenen Emotionen spiegeln die tiefe, intime Verbindung wider, die notwendig ist, um die Kunst in ihrer vollen Schönheit zu entfalten. Die Geige wird zum Symbol für die Seele der Frau, die nur durch wahre Hingabe und Liebe zum Leben erweckt werden kann. Das Gedicht endet mit der Huldigung an die Geige, die die Fähigkeit besitzt, den „Jauchzen des Himmels“ zu entlocken.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.