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Das Tugend-ersprießliche Unglück

Von

Der blaue Himmel gibt nicht fruchtbar-sanfften
Regen.
Es treuffet keinen Thau der strahlende Mittag.
Der schöne Demant auch zu nehren nicht vermag.
man muß / will man zum Port / das Wasser ja
bewegen.
Die Traid-bekleidten Berg / nit Gold und Silber
hegen.
So kan die Tugend auch nit blühen sonder Plag.
in gutem Glück sie grob ohn′ allen Glanz da lag /
in Müh und Arbeit wolt der Höchst den Segen legen.
im sauren Meer / und nicht im süssen wachs
Palast /
die theuren Perlein seyn. Also / in vollen Freuden
wird keine Himmels Zier / kein Tugend / nicht
gefasst:
Ihr Balsam-Geist riecht nur im Schmerz-geritzten
Leiden.
Die Sonn müst / solt ein Land sie stets bescheinen /
stehn.
wann keine Nohtnacht wär / würd kein Lust-Sonn
aufgehn.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Das Tugend-ersprießliche Unglück von Catharina Regina von Greiffenberg

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Tugend-ersprießliche Unglück“ von Catharina Regina von Greiffenberg entfaltet eine barocke Reflexion über die Natur der Tugend und das Verhältnis von Leid und Glück. Es bedient sich eines komplexen Bilderarsenals, um zu verdeutlichen, dass Tugend nicht im Wohlstand oder in ungetrübtem Glück gedeiht, sondern in den Wirren und dem Leid des Lebens ihre wahre Blüte findet. Das Gedicht präsentiert eine umgekehrte Logik, indem es die vermeintlich positiven Aspekte der Natur und des menschlichen Lebens als unfähig darstellt, Tugend zu nähren oder zu befördern.

Der erste Teil des Gedichts beginnt mit einer Reihe von Negationen. Der Himmel gibt keinen fruchtbaren Regen, der Mittag keinen Tau, der Demant nährt nicht. Diese Bilder unterstreichen die Idee, dass materielle Güter und äußere Umstände nicht das Wachstum von Tugend begünstigen. Der Vers „man muß / will man zum Port / das Wasser ja bewegen“ deutet an, dass Anstrengung und Bewegung notwendig sind, um ein Ziel zu erreichen, was als Metapher für die Notwendigkeit von Anstrengung auf dem Weg zur Tugend verstanden werden kann. Die folgenden Zeilen verstärken diesen Eindruck, indem sie betonen, dass Tugend in „Müh und Arbeit“ gedeiht und nicht in leichtem Glück.

Der zweite Teil des Gedichts vertieft die These, indem er das Leid als notwendige Bedingung für das Erblühen der Tugend hervorhebt. Die „theuren Perlein“ befinden sich im „sauren Meer“, was die Idee unterstreicht, dass Wertvolles oft aus schwierigen Umständen hervorgeht. Der Gedichtteil kulminiert in der Feststellung, dass „in vollen Freuden / wird keine Himmels Zier / kein Tugend / nicht gefasst“, was die paradoxe Natur der Tugend verdeutlicht: Sie blüht nicht im Glück, sondern im Schmerz und im Leiden. Das „Balsam-Geist“ der Tugend riecht „nur im Schmerz-geritzten / Leiden“, was die transformierende Kraft des Leids hervorhebt.

Die abschließenden Verse erweitern diese Erkenntnis auf das Verhältnis von Licht und Dunkelheit. „Die Sonn müst / solt ein Land sie stets bescheinen / stehn.“ und „wann keine Nohtnacht wär / würd kein Lust-Sonn aufgehn.“ Diese Zeilen greifen das Motiv der Notwendigkeit des Wechsels und des Leids für die Wertschätzung des Glücks wieder auf. Ohne die Dunkelheit der Nacht kann die Sonne ihre Freude nicht spenden. Ohne Leid und Not kann die Tugend nicht gedeihen. Greiffenberg nutzt somit geschickt Bilder, um die komplizierten Wechselwirkungen zwischen Glück, Unglück und der Entwicklung der Tugend zu ergründen und eine tiefe und barocke Theologie des Leids zu entfalten.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.