»Stille, er schläft! stille, stille!
Libelle, reg′ die Schwingen sacht,
Daß nicht das Goldgewebe schrille,
Und, Ufergrün, halt gute Wacht,
Kein Kieselchen laß niederfallen.
Er schläft auf seinem Wolkenflaum
Und über ihn läßt säuselnd wallen
Das Laubgewölb′ der alte Baum;
Hoch oben, wo die Sonne glüht,
Wieget der Vogel seine Flügel,
Und wie ein schlüpfend Fischlein zieht
Sein Schatten durch des Teiches Spiegel.
Stille, stille! er hat sich geregt,
Ein fallend Reis hat ihn bewegt,
Das grad zum Nest der Hänfling trug:
Su, Su! breit′, Ast, dein grünes Tuch —
Su, Su! nun schläft er fest genug.«
Das Schilf
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das Schilf“ von Annette von Droste-Hülshoff entfaltet in sanften, melodischen Versen eine Szene der Ruhe und des friedvollen Schlafes in der Natur. Die Atmosphäre ist von großer Zärtlichkeit und Aufmerksamkeit geprägt, wobei die umgebende Natur, symbolisiert durch die Libelle, das Ufergrün, den Baum und den Vogel, wie eine schützende Hülle wirkt. Die wiederholte Anrufung „Stille, stille!“ verstärkt den Eindruck der Achtsamkeit und des Bewahrens, als gelte es, einen kostbaren Moment vor störenden Einflüssen zu schützen.
Das Gedicht nutzt eine Vielzahl von Bildern, um die Szene zu veranschaulichen. Die Libelle wird gebeten, ihre Flügel „sacht“ zu bewegen, um das feine „Goldgewebe“ nicht zu stören. Das Ufergrün wird ermahnt, „gute Wacht“ zu halten und keinen Kiesel fallen zu lassen. Der Baum wird als Schirmherr beschrieben, unter dessen „Laubgewölb“ der Schlafende ruht. Der „Vogel“ und sein Schatten, der im Teich gespiegelt wird, ergänzen das Bild der Ruhe und Harmonie, wobei die Metapher vom „schlüpfenden Fischlein“ eine fließende Bewegung in die Szene bringt.
Die zweite Hälfte des Gedichts verschiebt den Fokus auf eine feine Bewegung und die Reaktion darauf. Ein „fallend Reis“ unterbricht kurz die Stille, doch diese Irritation wird durch die liebevolle Geste des Vogels, der es „grad zum Nest der Hänfling trug“, unmittelbar ausgeglichen. Die abschließende Zeile „Su, Su! nun schläft er fest genug“ unterstreicht das Erreichen des ursprünglichen Ziels: die Wiederherstellung der Ruhe und des Schutzes des Schlafenden. Die Wiederholung des „Su, Su!“ erzeugt einen wiegenden Rhythmus, der an das Wiegen eines Kindes erinnert und die Zärtlichkeit der Szene verstärkt.
In der Gesamtheit kann man dieses Gedicht als eine poetische Feier des Schlafs und der Verbundenheit mit der Natur interpretieren. Es zelebriert die Schönheit der einfachen Dinge und die Fähigkeit der Natur, Ruhe und Geborgenheit zu bieten. Es ist ein stilles, intimes Gedicht, das mit seinen sanften Bildern und seinem weichen Klang einen Kontrapunkt zur Hektik des Alltags setzt und uns einlädt, die Schönheit des Augenblicks zu genießen.
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