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Das Osterfeuer

Von

Über die Haide ging ich, die Haide so weit und so breit,
Mürrische Worte raunte ins Ohr mir die Einsamkeit.

Raunte von toten Zeiten, da hier noch der Urstier zog,
Über dem Bruche der Adler himmelhoch kreisend flog;

Da der Grauhund, der grimme, Mordrunen ließ im Sand,
Da noch das Elch, das starke, fiel von des Jägers Hand.

Da noch nicht welsche Weise Gut in Böse verkehrt,
Wode und Frigga, die Hehren, standen hochgeehrt;

Da noch Mannesmut galt und nicht allein das Geld,
Da mit dem blanken Schwert wahrte sein Recht der Held;

Nicht mit feigem Worte, und nicht mit billigem Eid;
Also lehrte mich heimlich die Toteneinsamkeit.

Unsere Götter die hießen einstmals Liebe und Kraft,
Kraft, die Leben erzeugt, Liebe, die Wonnen schafft.

Unser Gesetz war kurz, unser Gesetz war das:
Liebe um Liebe, aber auch Haß um Haß.

Treuhand jedwedem Mann, der sich erwies als Freund,
Bluthand dagegen dem Wicht, so sich da nahte als Feind.

Andere Zeiten zogen über das Haideland,
Vor der tückischen Axt Wodes Lobewald schwand;

Frigga die freundliche Fraue wurde zur Hexe verkehrt,
Jeglicher heilige Ort zur Greuelstätte entehrt;

Wodes edles Geflügel hieß Galgenvogel nun,
Friggas schelmisches Eulchen schimpften sie Leichenhuhn;

Und die Dreizehn, die hohe Geheimniszahl,
Unglücks- und Angstnummer wurd sie mit einem Mal.

Zwischen Eichen erhob sich ein einsames Strohdachhaus,
Mährenhäupter reckte der moosige Giebel heraus;

Unter ihm aber nach freundlicher Altsitte noch
Eingeschnitten als Herz starrte das Ulenloch.

An dem Missetürbalken, dem grauen, nach alter Weis′
Eingehauen und bunt prangte der heilige Kreis,

Und die Sonnenrune, die gute, daneben auch,
Nach der Urvorväter ernsthaft beharrlichem Brauch.

Rechts und links von der schwarzblanken Feuerwand
Wodes Schlachtroß mutig sich bäumend stand;

Gleich als wollte es lauthals mir wiehern zu:
Noch trage Wode ich, Freund, noch trauest Frigga du.

Weiter ging ich über das dämmernde Land,
Hinter dem rund und rot das gute Gestirn verschwand;

Ihm gegenüber weit hinter dem bräunlichen Bruch
Eine glührote Flamme zum sternleeren Himmel schlug;

Vor dem nachtschwarzen Wald weiß stieg der Rauch empor,
Bis er im Abendgewölke sich langsam verlor.

Und ich stand und stand und sah nach dem Feuerschein,
Hörte der Mädchen Gejuche, der Jungkerle gellendes Schrei′n,

Und ich lachte und dachte: der Urväter fröhliche Art
Hat sich trotz alldem mein Volk immer noch treulich bewahrt.

Immerdar lobt es noch nach der Vorväter schönem Brauch
Seinen Gott mit Glühglut und weißem Wirbelrauch.

Immer noch blieb es, wie es vor Urzeiten war,
Blau von Auge und Sinn, hell von Herzen und Haar.

Immer noch hielt es sich am Leibe und Geiste stark,
Immer noch blieben gesund ihm Bein und Blut und Mark.

Über die Haide ging ich, die Haide so weit und breit,
Fröhliche Worte raunte ins Ohr mir die Einsamkeit.

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Gedicht: Das Osterfeuer von Hermann Löns

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Osterfeuer“ von Hermann Löns ist eine melancholische Reflexion über den Verlust traditioneller Werte und die Sehnsucht nach einer vergangenen, heldenhaften Zeit, die in der Gegenwart durch das Osterfeuer symbolisch wiederbelebt wird. Der Dichter wandert durch die weite Heide, wo ihn die Einsamkeit zunächst mit düsteren Erinnerungen an eine glorreiche Vergangenheit konfrontiert.

Die ersten Strophen beschwören eine Zeit herauf, in der die heidnischen Götter Wodan und Frigg verehrt wurden, in der Männer durch Mut und Stärke glänzten, und in der das Gesetz aus Liebe und Hass bestand. Diese „toten Zeiten“ werden als idealisiertes Gegenbild zur Gegenwart entworfen, in der „welsche Weise“ das Gute ins Böse verkehrt hat. Der Dichter beklagt den Verlust alter Tugenden und die Verdrängung der heidnischen Götter durch eine neue Ordnung, die von Feigheit und Betrug geprägt ist. Die Natur und die heidnischen Symbole werden als Zeugen dieser verlorenen Welt betrachtet.

Die dritte und vierte Strophe bereiten den Übergang zum zentralen Bild des Gedichts vor: dem Osterfeuer. Die Beschreibung eines alten Hauses mit heidnischen Symbolen, wie dem Ulenloch und der Sonnenrune, deutet auf einen Ort der Bewahrung und der Verbundenheit mit der Tradition hin. Das Osterfeuer selbst wird als ein leuchtendes Symbol der Hoffnung und des Wiederauflebens der alten Werte dargestellt. Die Beschreibung des Feuers und die Reaktionen der Dorfbewohner, die tanzen und jubeln, offenbaren die tiefe Verbundenheit des Volkes mit seinen Vorvätern und Bräuchen.

Der Dichter betrachtet das Spektakel mit einem zwiespältigen Gefühl. Einerseits wird die Melancholie über die veränderte Welt durch die Freude über das lebendige Erbe der Vergangenheit durchbrochen. Das Feuer wird zum Zeichen dafür, dass die alten Werte und Traditionen noch immer in der Seele des Volkes fortleben. Die letzten Strophen unterstreichen diese Erkenntnis und bekräftigen die Hoffnung auf eine unzerstörbare Verbindung zur Geschichte und den kulturellen Wurzeln.

Abschließend ist „Das Osterfeuer“ ein Gedicht über die Sehnsucht nach einer verlorenen Welt, die Hoffnung auf deren Wiederbelebung und die unerschütterliche Kraft der Tradition. Löns verbindet die Melancholie über den Verlust von Werten mit dem Stolz auf die unsterbliche Seele seines Volkes, das durch die symbolische Handlung des Osterfeuers seine Identität bewahrt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.