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Das Liebhabertheater

Von

Meinst du, wir hätten jetzt Dezemberschnee?
Noch eben stand ich vor dem schönsten Hain,
So grün und kräftig sah ich keinen je.
Die Windsbraut fuhr, der Donner knallte drein,
Und seine Zweige trotzten wie gegossen,
Gleich an des Parkes Tor ein Häuschen stand,
Mit Kränzen war geschmückt die schlichte Wand,
Die haben nicht gezittert vor den Schlossen,
Das nenn′ ich Kränze doch und einen Hain!

Und denkst du wohl, wir hätten finstre Nacht?
Des Morgens Gluten wallten eben noch,
Rotglühend, wie des Lavastromes Macht
Hernieder knistert von Vesuves Joch;
Nie sah so prächtig man Auroren ziehen!
An unsre Augen schlugen wir die Hand,
Und dachten schier, der Felsen steh′ in Brand,
Die Hirten sahn wir wie Dämone glühen;
Das nenn′ ich einen Sonnenaufgang doch!

Und sprichst du unsres Landes Nymphen Hohn?
Noch eben schlüpfte durch des Forstes Hau
Ein Mädchen, voll und sinnig wie der Mohn,
Gewiß, sie war die allerschönste Frau!

Ihr weißes Händchen hielt den blanken Spaten,
Der kleine Fuß, in Zwickelstrumpf und Schuh,
Hob sich so schwebend, trat so zierlich zu,
Und hör, ich will es dir nur gleich verraten,
Der schönen Clara glich sie ganz genau.

Und sagst du, diese habe mein gelacht?
O hättest du sie heute nur gesehn,
Wie schlau sie meine Blicke hat bewacht,
Wie zärtlich konnte ihre Augen drehn,
Und welche süße Worte ihr entquollen!
Recht wo ich stand, dorthin hat sie geweint:
»Mein teures Herz, mein Leben, einz′ger Freund!«
Das schien ihr von den Lippen nur zu rollen.
War das nicht richtig angebracht, und schön?

Doch eins nur, eines noch verhehlt′ ich dir,
Und fürchte sehr, es trage wenig ein;
Der Wald war brettern und der Kranz Papier,
Das Morgenrot Bengalens Feuerschein,
Und als sie ließ so süße Worte wandern,
Ach, ob sie gleich dabei mich angeblickt,
Der dicht an das Orchester war gerückt,
Doch fürcht′ ich fast, sie galten einem andern!
Was meinst du, sollte das wohl möglich sein?

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Gedicht: Das Liebhabertheater von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Liebhabertheater“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine humorvolle und zugleich melancholische Reflexion über die Künstlichkeit und die Enttäuschungen, die mit der Liebe und der Wahrnehmung von Realität einhergehen können. Der Erzähler teilt seine Erlebnisse mit einer unbekannten Person, vermutlich einem Freund oder Vertrauten, und schildert eindrucksvoll eine Szene, die sich als Theateraufführung entpuppt.

Die ersten beiden Strophen beschreiben zunächst eine überaus malerische und übertriebene Naturkulisse. Der Erzähler schwärmt von einem „schönsten Hain“ im Dezember, einem Gewittersturm, der die Bäume trotzig erscheinen lässt, und einem Sonnenaufgang, der in seiner Intensität an einen Vulkanausbruch erinnert. Diese überbordende Naturschilderung, die mit Superlativen und bildhaften Vergleichen gespickt ist, deutet bereits auf eine Inszenierung hin, die mehr Schein als Sein bietet. Der Leser ahnt, dass die beschriebene Realität nicht ganz der Wahrheit entspricht, sondern künstlich geschaffen wurde.

In der dritten und vierten Strophe wird die Illusion verstärkt, indem die Ankunft eines Mädchens beschrieben wird, das in Schönheit und Anmut idealisiert wird. Der Erzähler vergleicht sie mit der fiktiven Figur Clara, was die theatralische Natur der Begegnung unterstreicht. Das Mädchen scheint sich liebevoll dem Erzähler zuzuwenden, wobei sie „süße Worte“ ausspricht, die von Zuneigung und Sehnsucht geprägt sind. Diese Worte und Gesten lassen den Erzähler in dem Glauben, geliebt zu werden, aber der Leser spürt bereits die drohende Täuschung.

Die letzte Strophe enthüllt schließlich die bittere Wahrheit: Die gesamte Szene war eine Inszenierung. Der „Wald war brettern und der Kranz Papier“, das Morgenrot „Bengalens Feuerschein“. Das Mädchen, die Schauspielerin, richtete ihre „süßen Worte“ an jemand anderen, vermutlich an ein anderes Mitglied der Theatertruppe oder an das Publikum. Diese Erkenntnis führt zu einer tiefen Enttäuschung und einem Gefühl der Erniedrigung. Der Erzähler, der sich in der Illusion der Liebe wiegte, wird mit der Erkenntnis konfrontiert, dass seine Gefühle missbraucht und seine Erwartungen enttäuscht wurden. Das Gedicht endet mit einer offenen Frage, die die Unsicherheit und das Misstrauen des Erzählers gegenüber der Liebe und der Welt widerspiegelt.

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.