Das ist der Schatten
Magst du mich ganz in deine Flammen hüllen
und mag das Blut, das deinen Leib durchmißt,
mein Herz durchpulsen, meine Adern füllen –
es bleibt ein Rest, ein Rest, der du nicht bist!
Das ist der Schatten unsrer Sonnenliebe,
auf unsern Himmelstraum, der Erdenspott.
Wenn dieser Rest, du, dieser Rest nicht bliebe:
wir wären Gott.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Das ist der Schatten“ von Clara Müller-Jahnke thematisiert die Begrenzung und Unvollkommenheit menschlicher Liebe, die im Angesicht der allumfassenden Sehnsucht nach Verschmelzung entsteht. Die ersten vier Zeilen drücken den Wunsch nach vollständiger Hingabe und symbiotischer Vereinigung aus, wobei die Metaphern der „Flammen hüllen“, des „Bluts“ und der „Adern füllen“ die Intensität und Leidenschaft der Begehrung verdeutlichen. Trotz dieses brennenden Verlangens nach totaler Verschmelzung wird in einer wiederholten Betonung der existenzielle Rest, das „Rest, der du nicht bist!“ betont. Dieses „Rest“ ist ein Hinweis auf die individuelle Existenz, die Grenzen des menschlichen Daseins, welche auch in der intimsten Beziehung nicht gänzlich überwunden werden können.
Die zweite Strophe erweitert diese Thematik, indem sie die menschliche Liebe in den Kontext einer höheren, göttlichen Dimension stellt. Der „Schatten unsrer Sonnenliebe“ wird als ein Kontrast zum „Himmelstraum“ und als „Erdenspott“ bezeichnet, was die Unzulänglichkeit der irdischen Liebe im Vergleich zu einer idealen, vollkommenen Liebe suggeriert. Der „Schatten“ symbolisiert hier die Begrenztheit der menschlichen Erfahrung, das Bewusstsein der Trennung und Unvollkommenheit, die selbst in den intensivsten Momenten der Liebe bestehen bleibt. Der „Erdenspott“ unterstreicht die Fragilität und Vergänglichkeit dieser Liebe im Angesicht des ewigen, göttlichen.
Die zentrale Botschaft des Gedichts wird in der letzten Zeile formuliert: „wir wären Gott.“ Diese Zeile bietet eine radikale Schlussfolgerung: Nur wenn dieser „Rest“, der die individuelle Existenz ausmacht, aufgehoben wäre, könnten die Liebenden in eine göttliche Einheit verschmelzen. Damit wird die menschliche Sehnsucht nach Vollkommenheit und Unsterblichkeit in der Liebe ausgedrückt, aber gleichzeitig die Unmöglichkeit dieser Sehnsucht im irdischen Kontext betont. Die Liebe, so leidenschaftlich sie auch sein mag, kann die Grenzen des menschlichen Daseins nicht gänzlich überwinden.
Die poetische Gestaltung des Gedichts unterstreicht diese Thematik. Die wiederholten Worte und der klare Reim (AABB) verleihen dem Gedicht eine eindringliche Wirkung und verstärken die zentrale Botschaft. Die kraftvollen Metaphern und die konsequente Verwendung des „Du“ für den geliebten Menschen schaffen eine intime Atmosphäre und lassen den Leser unmittelbar an der Sehnsucht und dem Dilemma der lyrischen Ich-Person teilhaben. Die Sprache ist schlicht und dennoch ausdrucksstark, was die Tragweite der Thematik noch verstärkt. Das Gedicht ist somit eine Reflexion über die Grenzen der Liebe, die Sehnsucht nach Einheit und die menschliche Suche nach Vollkommenheit.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.