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Das Autograph

Von

Pst! — St! — ja, ja,
Das mocht′ eine Pracht noch heißen,
Als ich am Ärmel sah
Die goldenen Tressen gleißen!
Wie waren die Hände weiß und weich,
Wie funkelten die Demanten!
Wie schwammen drüber, so duftig, reich,
Die breiten Brüsseler Kanten!

Das waren Bilder und Lockenpracht,
Wie mähnige Leun in Rahmen!
Das Vasen! wo in der Galatracht
Spazierten schäfernde Damen!
Und, o, das war eine Blumensee,
Ein farbiges Blütengewimmel!
Das eine berauschende Äthernäh′
Von heißem südlichem Himmel!

Pst! — St! — ich duckt′ in meinem Fach,
Pst! — still — wie Vögel im Nest,
Und ward am Gitter die Brise wach,
Dann ruschelt′ ich mit dem West.
O, o! der war auch ein Vagabund:
Von Bogen flog er zu Bogen,
Hat aus der Siegel Granatenmund
Säuselnde Küsse gesogen.

Pst! — drunten, hart an meiner Klaus′
Ein Tisch auf güldenen Krallen;
Und wispelte ich zu weit hinaus,
Ich wär′ auf den Amor gefallen;
Der stand, einen Köcher in jeder Hand,
Wie sinnend auf lustige Finte,
Das Haupt gewendet vom stäubenden Sand,
Und spiegelte sich in der Tinte.

Sieh! drüben der Türen Paneele, breit
Geschmückt mit schimmernden Leisten!
Wie hab′ ich geflattert und mich gefreut,
Wenn leise knarrend sie gleißten!
Dann kam das Ding — ein Mann? — ein Greis? —
Nie konnte ich satt mich schauen,
Daß seine Lockenkaskaden so weiß,
So glänzend schwarz seine Brauen!

Schrieb, schrieb, daß die Feder knirrt′ und bog,
Lang lange schlängelnde Kette,
Und sachte über den Marmor zog
Und schleifte sich die Manschette.
Das summt′ und säuselte mir wie Traum,
Wie surrender Bienen Lesen,
Als sei ich einst ein seidener Schaum,
Eine Spitzenmanschette gewesen.

Pst! — stille, — sieh, ein Andrer! — sieh!
Wie schütteln des Schreibers Locken!
Er beugt und schlenkert sich bis ans Knie,
Schlürft und schleicht wie auf Socken.
Ha! Es zupft mich, — ich falle, ich falle! —
Da liege ich hülflos gebreitet,
Und über mich die tintige Galle
Wie Würmer krimmelt und gleitet.

Licht! Leben! durch die Fasern gießt
Gleich Ichor sich der Menschengeist;
Wie′s droben tönt, die Spalte fließt,
Gedankenwelle schwillt und kreißt.
» Viva!« — ein König wird gegrüßt —
Es fault im Mark, die Rinde gleißt.
Und Schiffe, schwer von Proviant,
Ziehn übers Meer vom Nordenstrand.

Ich zittre, zittre; jenes Fremden Auge,
Lichtblau und klar, ist über mich gebeugt;
Ob es den Geist mir aus den Fasern sauge?
Ich weiß es nicht, sein Blinzen sinkt und steigt,
Ein Auge scharf wie Scheidewassers Lauge! —
Er streicht die Brauen, faßt die Feder leicht —
Nun schlängelt er — nun drunten steht es da:
» Theodor′ il primo, re di Corsica.«

Pst! still! — der König spricht, Denar, halt Ruh!
Was schaukelst dich, was klimperst du?

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Gedicht: Das Autograph von Annette von Droste-Hülshoff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Das Autograph“ von Annette von Droste-Hülshoff ist eine faszinierende Reflexion über die Entstehung eines literarischen Werkes, gesehen aus der Perspektive des Manuskripts selbst. Es fängt die Atmosphäre des Schreibens, die Umgebung und die Gefühle des Papiers ein, das Zeuge des kreativen Prozesses wird. Durch die Verwendung von „Pst! – St!“ als wiederkehrendes Motiv wird eine intime, fast heimliche Stimmung erzeugt, die den Leser in die Welt des Manuskripts hineinzieht. Das Gedicht ist in acht Strophen unterteilt und wechselt zwischen Beschreibungen der Umgebung, des Schreibens und der Reflexionen über die Bedeutung des Geschriebenen.

Das Gedicht beginnt mit der Beobachtung der prächtigen Umgebung des Schreibens: goldene Tressen, funkelnde Diamanten, kunstvolle Kleidung. Es sind die luxuriösen Details, die zunächst die Aufmerksamkeit des Papiers erregen, und die Welt, in der das Manuskript existiert. Die Beschreibung der „Lockenpracht“ und „schäfernder Damen“ deutet auf eine gehobene Gesellschaft hin, in der das Schreiben stattfindet. Die zweite Strophe intensiviert diese Wahrnehmung mit Bildern von Blumen, Farben und einem „berausschenden Äthernäh“ – eine Anspielung auf die sinnliche Erfahrung, die das Papier im Moment der Kreativität macht. Der Kontrast zwischen der Ruhe des Papiers, das sich in seinem Fach versteckt, und der Lebendigkeit um es herum erzeugt eine Spannung.

Die dritte und vierte Strophe lenken den Fokus auf das Schreiben selbst und die Beziehung zwischen dem Papier und dem Schreiber. Die „Brise“ und der „Vagabund“ repräsentieren möglicherweise die flüchtigen Gedanken des Schreibers, die sich in den Buchstaben niederschlagen. Das Papier beobachtet, wie der Schreiber auf dem „Tisch auf güldenen Krallen“ sitzt und sich dem Schreiben hingibt. Die Anwesenheit eines Amors, der einen Köcher in der Hand hält, deutet auf die Inspiration durch Liebe oder Sehnsucht hin, die dem Schreiben zugrunde liegt. Die fünfte Strophe verstärkt die Beobachtungsgabe des Papiers, das das Flüstern und Knarren der Umgebung wahrnimmt, bevor es sich auf das Erscheinungsbild des Schreibers konzentriert. Die Detailgenauigkeit in der Beschreibung des Schreibers, von den weißen Locken bis zu den schwarzen Augenbrauen, deutet auf Bewunderung und Faszination hin.

Die sechste und siebte Strophe beschreiben den eigentlichen Akt des Schreibens, die Bewegung der Feder und die Entstehung des Textes. Das Papier wird zu einem Teil des Prozesses und empfindet die „Feder knirrt′ und bog“. Das „Summen“ und „Säuseln“ des Schreibens verwandeln sich in eine Art Traum, in dem sich das Papier als einst seidiger Schaum oder Spitzenmanschette identifiziert. Der Übergang zu einem neuen Schreiber und die Beobachtung seines Schreibstils zeigen die Kontinuität des Schreibprozesses. Das Papier fühlt die „tintige Galle“ und die „Würmer“, die über es gleiten, was eine Metapher für die Unvollkommenheit und das Leid des kreativen Prozesses sein könnte.

Die achte und letzte Strophe offenbart die eigentliche Essenz des Schreibens, wenn der „Geist“ des Schreibers in das Papier übergeht. Das Papier ist Zeuge der „Gedankenwelle“, die schwillt und kreißt. Es wird die Anrede „Viva!“ und die Grüsse „Theodor il primo, re di Corsica.“ niedergeschrieben, was eine Bezugnahme auf König Theodor von Korsika darstellt, dessen Geschichte in diesem Text festgehalten wird. Die abschließende Zeile, in der das Papier, das „Denar“ anspricht, mit „Was schaukelst dich, was klimperst du?“, verdeutlicht die Unruhe und die Fragen, die im Schreibprozess aufkommen. Das Gedicht fängt die Komplexität und die Vielschichtigkeit des Schreibakts ein und veranschaulicht die tiefe Verbindung zwischen dem Schreiber, dem Werk und der Welt um sie herum.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.